Freitag, 13. Oktober 2017

Ängste und das Wahlverhalten

Auch bei der ins Haus stehenden Wahl spielen Ängste eine zentrale Rolle. Die drei stärksten Parteien streiten darum, wer mehr auf die Ängste vieler Menschen vor den Fremden, Ausländern, Asylanten, Flüchtlingen usw. hört und wer besser dagegen Abhilfe schaffen kann. Die meisten Wähler werden sich offensichtlich nach diesen emotionalen Motiven entscheiden: Wer schützt mich mehr vor den vielen fremden Menschen, die mir Angst machen?

Und dann gibt es Wähler, die haben Angst, dass die Angstmacher an die Macht kommen, und wählen deshalb die Parteien, die gegen die Angstmacher sind. Also auch hier spielen Angstmotive eine zentrale Rolle im Wahlverhalten.

Populismus wird häufig so erklärt, dass der Populist Ängste schürt und die eigene Politik dann als Abhilfe vor diesen zuvor produzierten Ängsten verkauft, ähnlich einem Versicherungsmakler, der mögliche Katastrophen an die Wand malt, damit er einen möglichst hohen Versicherungsvertrag abschließen kann. Eine solche Masche ist relativ leicht zu durchschauen. Wieso aber bekommen die Populisten immer mehr Zulauf, wenn zugleich der Wohlstand steigt und steigt, die Sicherheitslage objektiv besser wird, der Bildungsgrad in allen Schichten angehoben wird und das Sozialsystem laufend weiter ausgebaut wird? Folgen die Menschen blind ihren Rattenfängern?

Vielleicht verhält es sich so: Menschen haben im Allgemeinen immer vor etwas Angst, da es so vieles gibt, was unsicher ist. Je komplexer die Welt wird, in der wir leben – und sie wird laufend komplexer, und wir alle arbeiten und konsumieren dafür –, desto mehr Risiken und Gefahrenquellen tun sich auf. Wer ein Smartphone sein Eigen nennt, hat das Risiko, dass es kaputt geht. Ich frage mich z.B. manchmal, was ein Fluggast macht, der seine Boarding-Karte auf dem Handy hat, wenn sein Gerät eingeht, bevor er ins Flugzeug kommt. Dieses Risiko hat es vor der Einführung von elektronischen Tickets nicht gegeben. Ein massiveres, recht unheimliches Thema ist die Frage, welche Auswirkungen die Einführung von komplexen Maschinen (Robotern) auf das Arbeitsleben haben wird – welche Jobs werden da übrig bleiben? Noch drastischer ist die Ungewissheit, wie sich der stetige Wandel des Klimas auf die elementaren Lebensverhältnisse der Menschheit auswirken wird.

All diese und noch viel mehr andere Unsicherheiten sind Quellen von Ängsten. Wir wissen vieles nicht, was unsere Zukunft anbetrifft, und all das ist Anlass für Besorgnis. Warum also sollten diese Ängste nicht in die Wahlentscheidung einfließen? Und da die Welt nicht überschaubarer oder kalkulierbarer wird, ist es wahrscheinlicher, dass Wahlen immer mehr von Ängsten dominiert werden, ob sie nun manipulativ erzeugt und verstärkt wurden oder nicht.

Wir wissen, dass Ängste nicht naturgesetzmäßig durch komplizierte äußere Bedingungen hervorgerufen werden. Wir „müssen“ also nicht Angst kriegen angesichts der Unübersichtlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklung. Wir können auch den Moment wahrnehmen und darauf vertrauen, dass uns der nächste Schritt im Leben die Lösung für das Problem zeigt, das uns jetzt gerade plagt. Wir können die Wurzeln unserer Ängste erforschen und befrieden und auf diese Weise immer mehr Gelassenheit und Achtsamkeit kultivieren. Wir haben diese Optionen, sie erfordern aber auch unser Engagement und unseren Mut. Wir müssen den Hang zu Gewohnheiten und Bequemlichkeiten überwinden, denn selbst und gerade mit halbbewussten Ängsten lässt es sich ganz angenehm leben.

Alle hingegen, die diese Option nicht wählen, bleiben weniger Marionetten der Politiker, die ihre Ängste für die eigenen Machtzwecke ausnutzen, als viel mehr noch Marionetten ihrer inneren Grenzen, in denen die Ängste genährt, wenn nicht sogar gemästet werden.

Vielleicht liegt das „Gute“ (im Sinn der Bewusstseinsevolution) am Erfolg der Populisten darin, dass sie irrationale Ängste, Zorn, Hass in den Diskurs einbringen, Gefühle, die bislang keine Stimme hatten, obwohl sie in den Tiefenschichten vieler Menschen angelegt sind. Es macht keinen Sinn, mit Statistiken zu belegen, dass die Angst vor Ausländern unberechtigt ist; der Ängstliche will in seiner Angst gesehen und verstanden werden. So weit, so gut. Der nächste Schritt ist entscheidend: Erwächst aus dem Verständnis der Ängste eine Botschaft, die zur eigenen Kraft ermutigt oder eine, die zum Abtreten der Eigenmacht auffordert? Heißt es also im Diskurs: Ja, ich verstehe die Angst und ich vertraue, dass wir Lösungen finden, um die Ängste zu verringern – oder: Ja, ich verstehe die Angst, und du musst mir vertrauen, dass ich die Ursachen deiner Ängste beseitige.

Aus Ängsten kann Kraft und Autonomie erwachsen. Wir müssen dazu unsere Ängste ernstnehmen, in uns selbst und mit-einander, und sie in uns annehmen. Dann bestimmen sie nicht mehr unsere Entscheidungen und Handlungen. An die Stelle von Ängsten tritt die Freiheit, die uns erlaubt, unsere Menschlichkeit und Liebesfähigkeit zu erweitern und zu vertiefen.

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