Montag, 11. September 2017

Machen uns Smartphones infantil?

Als Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel können wir tagtäglich beobachten, wie viele Menschen in ihrem Smartphone versunken sind, geschäftig daran herumdrückend, die Augen gebannt auf den kleinen Bildschirmen. Wenn uns aufgrund des vorgerückten Alters als analog Aufgewachsene die entsprechende Sozialisierung in das digitale Welterleben fehlt, möchten wir verstehen, was da abläuft. Schließlich zeigen zunehmend mehr Menschen Symptome von suchtartiger Abhängigkeit von den elektronischen Wunderdingen, wobei laut Experten das Leiden stärker von der sozialen Umgebung wahrgenommen wird als von den Betroffenen selbst.

Wie schaffen es diese Maschinen, die Aufmerksamkeit zu fesseln und Zeit zu konsumieren, die dann für andere Aktivitäten fehlt? Was ist der Preis für das gewohnheitsmäßige Abdriften in eine sekundäre Realität? Die sogenannten sozialen Medien haben es offenbar fertiggebracht, das soziale Wesen Mensch in ein virtuell asoziales zu verwandeln, in einer Weise, dass es den Betroffenen nicht auffällt.

Eine wichtige Rolle bei dieser Entwicklung spielt das Erwartungshormon Dopamin. Wenn wir Benachrichtigungen aus den sozialen Medien erhalten, wird das Belohnungssystem aktiviert. Am Anfang steht eine unerwartete Belohnung: Jemand schickt mir eine Nachricht. Jemand denkt an mich – Glücks- und Bindungshormone werden ausgeschüttet. Beim nächsten Mal, wenn das Smartphone vibriert, wird gleich Dopamin ausgeschüttet: die Spannung steigt, ich erwarte wieder eine Belohnung und dazu muss ich gleich klicken, damit ich schnell kriege, wonach ich mich sehne. Das Dopamin sorgt dann dafür, dass ich automatisiert und immer schneller, ohne langes Nachdenken, auf den Reiz reagiere. Das Handy vibriert – ich muss ihm die volle Aufmerksamkeit geben. Mit jedem Reiz wird mehr Dopamin freigesetzt, das Verlangen wird immer stärker und braucht immer mehr Futter. Also brauche ich mehr virtuelle Freunde, mehr virtuelle Plattformen, Foren und Applikationen, in denen sich was tut, was meine Aufmerksamkeit fesselt. Ohne es zu merken, wird ein Gerät zum Mittelpunkt des eigenen Lebens.

Wie werden Menschen abhängig gemacht? Es braucht die richtigen Trigger und eine niedrige Hürde, die Belohnung muss also leicht erreichbar sein. Wie können Produkte erzeugt werden, die zum Gewohnheitskonsum führen, ohne die der Kunde nicht mehr sein will? Es gibt drei Möglichkeiten: Soziale Belohnungen; Informationen; Kontrolle oder neue Fähigkeiten. Eine neue Nachricht zu kriegen ist eine Belohnung, und noch mehr, wenn die Nachricht interessant ist. Die Verwaltung der vielen Nachrichten gibt ein Gefühl von Kontrolle und Eigenaktivität. Jede geschriebene Nachricht erhöht die Wahrscheinlichkeit, Antworten zu bekommen, also gilt es, noch mehr schreiben oder zu posten, so belanglos der Informationsgehalt immer auch sein mag.

Die diversen Medien haben von der Konditionierungsforschung gelernt: Sie verteilen die Belohnungen unregelmäßig. Damit wissen die Konsumenten nicht, wann es wieder zu einem Dopamin-Kick kommt und schauen deshalb immer wieder in all den Programmen nach, ob nicht schon was Neues hereingekommen ist, was den Lohn fürs Warten und Suchen verspricht.

In einer israelischen Studie wurden Erwachsene mit ihrem ersten Smartphone ausgestattet. Schon nach drei Wochen waren die Veränderungen messbar: Die Versuchspersonen taten sich schwerer, Belohnungen aufzuschieben, im Vergleich zu Personen, die kein Smartphone hatten. Das Aufschieben von Belohnungen ist eine wichtige Fähigkeit, die Kleinkinder erlernen müssen und die eine relative sichere Prognose über die zukünftige Laufbahn ermöglicht. Nur wenn der zeitliche Bogen zwischen dem Auftreten eines Bedürfnisses und seiner Befriedigung groß genug ist, kann sich das Kind für längerfristige Aufgaben motivieren, eine wichtige Voraussetzung für die Schulreife: Schulkinder bekommen ihre Belohnung (das Zeugnis) erst nach einigen Monaten des Lernens.

Die Belohnungsabhängigkeit, die mit der intensiven Smartphone-Nutzung erzeugt wird, trägt regressive Züge: Die Menschen werden tendenziell zu Kleinkindern, die Gesellschaft geht einer Infantilisierung entgegen. Ganz offensichtlich regredieren die Menschen mit fortschreitendem Smartphone-Gebrauch, einhergehend mit dem Realitätsverlust, der den Unterschied zwischen der „realen“ und der virtuellen Wirklichkeit immer mehr vermischt. Was die Konsumenten in den digitalen Medien suchen, soll vor allem niedlich, nett, lustig und überraschend sein, alles, was unser inneres Kind braucht, um sich kindlich zu freuen. Und es soll unsere Neugierde stillen und unsere Langeweile übertönen, auf eine einfache, anstrengungslose Weise.

Außerdem tauchen die Nutzer mit ihren medialen Konsumverhalten in eine Blase ein, die ein Algorithmus erzeugt hat, sodass sie dort all dem begegnen, was ihr  Herz begehrt und ihr Kopf für richtig hält, ein virtuelles Schlaraffenland und Meinungsghetto.

Was kaum mitbedacht wird, ist die Tatsache, dass mit jedem Klick irgendwo eine Kassa klingelt und Werbegeld auf ein (vermutlich unversteuertes) unbekanntes Konto strömt – Werbegeld, das ja in irgendeiner Form die Konsumenten durch den Kauf der Produkte, die ihnen durch ihr Nutzungsverhalten vor die Nase gehängt werden, berappen.

Dieses Verhalten ähnelt dem von Versuchsratten in einem Experiment, die durch Belohnung zu einem bestimmten Handeln dressiert werden. Die eigentliche Belohnung kriegt der Versuchsleiter, während für die Ratten nur billige Futterpillen bleiben, obwohl sie wohl bei sich denken, wie großzügig sie doch belohnt werden. Und wir sind der großen Cyberwelt dankbar, die uns so viele überraschende und unerwartete Belohnungen zukommen lässt. Damit sind wir eingespannt in eine Belohnungsmaschinerie, die uns immer unbefriedigter und infantiler werden lässt.


Anregung und Quelle für den Text: Ein Artikel von Anna Goldenberg „Warum kann ich nicht ohne mein Handy sein?“ in: FALTER 36/2017

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen