Samstag, 28. Januar 2017

Wozu brauchen wir Erfolge?



 Das Erfolgsprogramm

  
Wir alle wollen Erfolg haben. Misserfolge sind misslich, und sollten keine Folgen zeitigen. Von Erfolgen können wir nicht genug kriegen. Erfolg soll auf Erfolg folgen, so erträumen wir uns unser Leben.

Aber was ist überhaupt ein Erfolg? Wir setzen uns ein Ziel, z.B. eine neue Wohnung oder einen neuen Beruf zu finden. Sobald das Ziel in der Weise, wie wir es uns wünschten, erreicht ist, fühlen wir uns erfolgreich. Ist der Job nicht genau das, was wir gerne gehabt hätten, oder ist die Wohnung gerade annehmbar, indem die Vorzüge die Mängel überwiegen, fühlen wir uns weniger erfolgreich. Die Deckungsgleichheit zwischen unseren Wünschen und der Realität, die wir dann erreichen, muss zumindest gegeben sein, damit wir von Erfolg reden können. Übertreffen darf die Wirklichkeit unsere Träume in jedem Fall, wir lassen uns gerne vom Erfolg überraschen.

Erfolge verbrauchen sich schnell. Sie erzeugen ein Hochgefühl samt Endorphin-Ausschüttung, und dieses ebbt gemäß dem hormonellen Zyklus wieder ab. Einen Nachgeschmack können wir uns holen, wenn wir an etwas zurückdenken, was wir toll geschafft haben. Doch dieser ersetzt nicht die Glücksgefühle eines aktuellen Erfolges.

Die Erfolgsbilanz muss beständig wachsen. Wir dürfen uns vielleicht für einige Zeit auf unseren Lorbeeren ausruhen, dann muss die Jagd nach dem Erfolg wieder aufgenommen werden. Sonst laufen wir Gefahr, der Depression zu verfallen. Erfolge sind also dafür da, um uns vor dem Leiden vor uns selbst zu schützen.

So läuft also das Erfolgsprogramm, das wir alle kennen, soweit wir in einer Leistungsgesellschaft aufgewachsen sind. Spätestens mit dem Schuleintritt wird das Prinzip, dass ein lebenswertes Leben mit Erfolgsmaximierung verbunden ist, verinnerlicht. Wir definieren uns über unsere Erfolge und Misserfolge. Und damit haben wir uns abhängig gemacht von Bewertungen, den eigenen und den von anderen. Denn die Erfolgshascherei ist nichts anderes als eine Ausscheidung des Bewertungsdenkens, das so tief in uns und in unserer Gesellschaft eingefräst ist.

Jeder Erfolg ist relativ


Betrachten wir die Erfolgsmuster aus einer spirituellen Sichtweise, so geht es darum, Relatives und Absolutes zu unterschieden und damit die Ego-Anteile an dem Muster sichtbar zu machen. In dieser Perspektive ist jedes Leben gleich viel wert, ob es zu Erfolgen geführt hat oder gründlich missglückt ist. Und es ist gleich, was in jedem dieser individuellen Leben passiert ist. Da gibt es nichts Großes, Bedeutendes, Herausragendes im Vergleich zum Unscheinbaren, Unbemerkten, Nebensächlichen mehr. Da gibt es nur die vielfältigen Unterschiede, die alle Teil eines großen Bildes sind.

Es ist offensichtlich, dass Erfolge Maßstäbe voraussetzen, die relativ sind, also von den unterschiedlichsten Faktoren abhängig sind. Ein Schirennfahrer, der Stockerlplätze gewohnt ist, verbucht einen vierten Platz nicht als Erfolg, während ein Anderer glücklich darüber ist, überhaupt bei einem Rennen antreten zu dürfen. Ein dritter wäre froh, den Hang nur irgendwie herunterzukommen und ein vierter, wenn er sich zumindest ein wenig auf Skiern bewegen kann.
Diese Maßstäbe sind in den Bewertungsmustern eingebaut, die die Gesellschaft ständig weiterentwickelt und verfeinert und die wir inhaliert haben und ständig inhalieren, ob wir es wollen oder nicht.

In der spirituellen Einstellung können wir das Erfolgsprinzip durch die Wertschätzung des Lebens ersetzen: Einfach dieses mein Menschenleben zu leben, mit allem, was dazugehört, ist schon ein Erfolg, ganz gleich, ob wir irgendwo groß rauskommen oder in einer Nische versteckt bleiben, ob wir so und so viele Anhänger und Freunde haben oder nicht, diese Menge Geld machen oder jene. Es ist sogar egal, ob wir das gefunden haben, was unsere Berufung ist oder ob wir unsere Visionen erreicht haben. Das sind alles nur Gaukeleien unseres bewertungsdurchtränkten Denkens.

Die Erfolge und die radikale Endlichkeit


Die Hauptaufgabe in diesem Leben ist, seine Endlichkeit annehmen zu können, und wenn wir das schaffen, ist das ebenso ein Erfolg. Deshalb können wir am Erfolgsdenken etwas über die Paradoxie des Lebens verstehen: Das Gewinnen ist dabei genauso wichtig wie das Verlieren. Wir gewinnen, indem wir bereit sind, alles zu verlieren. Scheinbare Misserfolge sind nichts als die Erinnerung an unsere Endlichkeit. Bei solchen Erfahrungen können wir lernen, das, was ist, bedingungslos zu akzeptieren und wertzuschätzen, ob es uns gefällt oder nicht, ob es in unserem Bewertungsschema hoch oder tief rangiert.

Die Aufgabe liegt darin, die radikale Relativität des Lebens anzunehmen, d.h. unsere radikale Erfolgslosigkeit. Was zählt wirklich, wenn wir unser Leben abschließen? Die Menge an Vanilleeis, die wir in unserem Leben genossen haben, oder die Anerkennungen, die wir für unsere Leistungen bekommen haben? Das ist alles relativ, und die Relativität bietet angesichts der Endlichkeit keine Orientierung und keinen Halt. Sobald wir uns aber von der Macht der Relativität, die sich im Erfolgsprinzip verkörpert, gelöst haben, werden wir frei. Es ist, wenn wir diesen Gesichtspunkt gewonnen haben, völlig egal, was wir in unserem Leben erreichen oder nicht. Denn in jedem Moment erreichen wir das, was wir gerade tun, und zugleich erreichen wir damit rein gar nichts.

Dazu kommt noch, dass wir immer einen Beitrag zum Ganzen leisten, das ist alles, und das tun wir immer und überall, einfach nur durch die Luft, die wir ausatmen, einfach, indem wir das tun, was wir tun und das unterlassen, was wir nicht tun. Damit steuern wir unseren unverwechselbaren Teil zum Ganzen bei, ganz gleich, wie er in dem einen oder anderen Bewertungsschema abschneidet.

Wenn wir die radikale Relativität von Erfolgen erkannt haben, können wir uns selbst entscheiden, ob wir in dieses Spiel einsteigen oder nicht. Wollen wir im Räderwerk der Erfolgsmaschinerie weiterhetzen oder zu uns selber zurückkommen, zu dem Leben jenseits von Maßstäben, wo eins nach dem anderen geschieht, Moment für Moment? Was fühlt sich besser an, was hilft uns zur Entspannung?

Vgl. In der Mangel des Erfolgsstrebens

Sonntag, 15. Januar 2017

2016 - Anlass für Optimismus

2016 ist vorbei – wie blicken wir zurück auf dieses Jahr? Für manche stehen die schlimmen Ereignisse im Vordergrund; schließlich wurden und werden sie uns von den Medien tagtäglich serviert: Ein unberechenbarer US-Präsident als „mächtigster Mann der Welt“, ein nicht endenwollender grausamer (Bürger)Krieg in Syrien, erstarkende Rechtsparteien überall, der Austritt von Großbritannien aus der EU mit unsicherer Prognose, zunehmende Wirklichkeits- und Wahrheitsverzerrungen in den immer einflussreicher werdenden sozialen Medien usw. usw. Also haben wir genug Fakten, um das vergangene Jahr in unserer Erinnerung mit einem Trauerflor zu umranden - so viele Chancen vertan, so wenige Möglichkeiten genutzt.

Es gibt auch die andere Perspektive, die des Optimismus. Optimismus heißt nicht, die besorgniserregenden und menschenfeindlichen Tendenzen zu übersehen, sondern darüber die anderen Entwicklungen zu berücksichtigen, die auf einen stetigen, vielleicht weniger öffentlichkeitswirksamen Anstieg an menschlicher Lebensqualität auf unserem Planeten hinweisen. Einfach gesagt: Es war wieder ein Jahr, in dem die Armut und der Hunger sowie der Analphabetismus auf der Welt zurückgegangen ist. Es geht damit auf der einfachsten Lebensgrundlage einer riesigen Anzahl von Menschen etwas besser als im Jahr davor, und das ist ermutigend, auch wenn noch enorm viel zu tun ist.

Der Technologie- und Wissenschaftsblogger Peter Diamandis hat sich mit Trends beschäftigt, die im vergangenen Jahr an Bedeutung für die Zukunft unserer Lebenswelt gewonnen haben. Danach war 2016 ein unglaubliches Jahr für die Menschheit. Diamandis hat die wissenschaftlichen Durchbrüche durchgeschaut und sie in zehn Trends zusammengefasst, die hier verkürzt dargestellt werden.


1. Wir erschaffen eine hyper-verbundene Welt


2010 waren 1,8 Milliarden Menschen über Internet verbunden. Heute liegt die Zahl bei etwa 3 Milliarden, und zwischen 2022 und 2025 wird diese Zahl faktisch jeden Menschen auf dem Planeten umfassen.

Unter den Möglichkeiten, die sich damit bieten, liegt nicht nur der Zugang für alle zu den unermesslichen Informationsressourcen, sondern auch die Möglichkeiten für crowdfunding, um zu Geld zu kommen, und zu crowdsourcing, um Expertenwissen zu nutzen.

Hier ein paar Geschichten, die die Beschleunigung dieser Entwicklung dokumentieren:
Der reichste Mann Indiens, Mukesh Ambani, hat angekündigt, dass ganz Indien mit einem 4G-Netzwerk mit gratis Hochgeschwindigkeits-Internet verbunden wird. Bis 2018 soll Indien zu 100% mit dieser Infrastruktur versorgt werden.

Google hat ein Projekt gestartet, mit dem das Internet über Ballone in entfernte ländliche Gegenden gebracht wird. Außerdem hat die Firma ein Drohnenprojekt laufen, über das ein Hochgeschwindigkeitsnetz aus der Luft mittels neuer Übertragungstechnologie überallhin geliefert werden kann. Auch Facebook hat ein ähnliches Projekt laufen, das das Internet für Milliarden mehr Menschen zugänglich machen soll. Die dafür entworfenen Drohnen sollen gänzlich von Sonnenergie betrieben sein. Außerdem gibt es Projekte, die mittels 900 Satelliten bis 2019 die ganze Welt mit Internet versorgen wollen.

Vielleicht fragen wir uns bei diesem Thema, worin der Gewinn liegt, wenn dann alle Menschen über Facebook und Google mit Werbung überschüttet werden, sollten dabei aber nicht übersehen, dass wir, für die die Internetanbindung selbstverständlich und in manchen Bereichen fast existenziell geworden ist, kein Recht haben, andere Menschen vom Gebrauch der Technologie auszuschließen, die ihnen viele soziale und ökonomische Vorteile bietet. Das Internet, in seiner ganzen Ambivalenz, ist Teil unserer Lebenswelt geworden, und trägt zu unserem Wohlstand bei. Deshalb sollten alle Menschen Zugang zu dieser Ressource haben.


2. Nachhaltige Energie erstmals billiger als Kohle


Im Dezember berichtete das Weltwirtschaftsforum, dass die Solar- und Windenergie in mehr als dreißig Ländern entweder den gleichen Preis wie die Erschließung neuer fossiler Energien hat oder billiger ist. Selbst ohne Förderungen sollten wegen der kontinuierlichen Verbilligung dieser Energiegewinnung innerhalb der nächsten Jahre zwei Drittel aller Länder diesen Punkt der Netzparität (gleiche Kosten für selbst erzeugte im Vergleich zu eingekaufter elektrischer Energie)  erreichen.

Indien z.B. wird bis 2022 mit mehr als 100 Gigawatt an Solarkraft versorgt werden. Das Vereinigte Königreich hat erstmals mehr Energie aus der Sonne als aus der Kohle produziert. Mehr und mehr Kohlekraftwerke werden auf Solarenergie umgestellt. In Texas hat sich die Energiegewinnung durch Kohle innerhalb etwas mehr als eines Jahres von 39% auf 24,8% verringert. Costa Rica ist seit 76 Tage voll von erneuerbarer Energie versorgt, und die Firma Google plant das für alle Standorte in diesem Jahr.

Sollte die Entwicklung in dieser Richtung weitergehen, steht zu hoffen, dass wir unsere Energieversorgung ohne völlige Ausplünderung der Bodenschätze sichern können. Wenn wir den Finanzmarkt betrachten, kann dieser die Entwicklung zusätzlich beschleunigen: Investoren geben ihr Geld dorthin, wo der Trend hinführt, und verstärken ihn damit.


3. Blicken wir bereits auf das Ende von Krebs und anderen Krankheiten?


Die Immuntherapie für Krebs macht außerordentliche Fortschritte, indem sie das Immunsystem der Patienten für den Kampf gegen Krebs nutzt. Diese Therapie hat bei 94% einer Studie mit akuter lymphoblastischer Leukämie zum völligen Verschwinden der Symptome geführt. Bei Blutkrebspatienten war die Reaktionsrate über 80%. Große Erfolge gibt es auch in der Krebsbehandlung mittels Genmodifikation bei den Immunzellen. In Harvard konnten die Forscher mittels Insulinproduzenten, die aus Stammzellen gewonnen waren, Diabetes bei Mäusen heilen. Erfolge mit der Gentherapie gibt es auch in der HIV-Medizin.

Die Masern sind in den USA völlig ausgerottet und die Ebola-Impfung hat sich als 100%ig wirksam erwiesen. Die Weltgesundheitsorganisation hat angekündigt, dass die Kinderlähmung früh in diesem Jahr verschwunden sein wird.

Zusätzlich zu diesen bewundernswerten Erfolge in der Forschung und Therapie können wir annehmen (ohne dass es dafür eindrucksvolle Zahlen gibt), dass sich mehr und mehr Menschen mit ihrer Gesundheit in Selbsthilfe auseinandersetzen. Viele nutzen die Quellen für Wissen um die eigene Gesundheit, die frei zugänglich sind, und die Techniken, von der Atmung bis zu Körperübungen, um sich besser zu fühlen und die inneren Systeme auszugleichen.


4. Fortschritte in der Lebensverlängerung


Werden die Hundertjährigen bald die Sechziger von heute? In diesem Bereich wird jedenfalls viel Geld investiert, und es gibt auch einige neue Entwicklungen. Zumindest bei Mäusen konnte eine Lebensverlängerung um 25% erreicht werden, indem Zellbiologen systematisch eine Kategorie von lebenden, aber stagnierenden Zellen entfernten. In anderen Experimenten wurden älteren Mäusen das Blutplasma von jüngeren injiziert, wodurch sich die kognitiven wie physischen Leistungen verbesserten und die Lebenserwartung um 30% erweitert wurde.

Ich bin skeptisch, wenn es um die Anstrengungen geht, einfach das Leben zu verlängern. Wir müssen in jedem Fall irgendwann sterben, und das Hinausschieben dieses Ereignisses ändert daran nichts. Mir scheint es wichtiger, dass wir uns mit unserer Endlichkeit auseinandersetzen und unsere Sterblichkeit vollständig akzeptieren. Natürlich sollten wir darauf achten, gesund und gesunderhaltend zu leben, indem wir das Geschenk, das wir mit unserem Leben erhalten haben, wertschätzen und achten. Dazu ist es unsere Aufgabe, alles, wozu wir in der Lage sind, zu tun, um dieses unser Leben zu schützen und zu fördern. Genauso gilt es aber auch, unsere Endlichkeit zu achten. Nur ein maßloses Ego will ewig leben.


5. Erstaunliche Erfolge in der Stammzellenforschung.


So konnte ein japanisches Team aus einer kleinen Hautprobe ein menschliches Auge erschaffen. Die Injektion von Stammzellen zeigt auch Erfolge in der Behandlung von Schlaganfällen, Alzheimer, Parkinson und der Lou Gehrig-Erkrankung. Einem 21-jährigen gelähmten Mann wurden Stammzellen ins verletzte Rückenmark injiziert. Drei Monate später zeigten sich dramatische Verbesserungen im Empfinden und in der Beweglichkeit beider Arme.

Die Stammzellenforschung macht uns auf ein Wunder des Lebens aufmerksam: Pluriforme Stammzellen sind solche, die sich zu jeder beliebigen Zelle spezialisieren können – was für ein herrliches Vorbild für menschliche Kreativität: Wir sind frei, uns selber immer wieder eine neue Form zu geben.


6. Das Jahr des autonomen Autos


Google, Tesla und Uber führen das Feld dieser neuen Technologie an, und alle anderen großen Autofirmen investierten stark in diesem Sektor. Vielleicht schauen wir bald mit Entsetzen auf die Zeit zurück, als Menschen noch Autos lenken mussten?

Uber lieferte 50 000 Bierdosen mit einem selbstgelenkten Lastwagen aus. Jedes Tesla-Auto soll im heurigen Jahr sich selbst ohne menschlichen Einfluss lenken können. In der Landwirtschaft werden sich die selbstgelenkten Traktoren durchsetzen, weil sie schneller, effizienter und präziser arbeiten.

Forscher in diesem Bereich vermuten, dass Autos in Privatbesitz aus den Städten in weniger als zehn Jahren verschwunden sein wird. Dazu bedarf es aber vermutlich für viele Menschen eines inneren Schrittes: Dort, wo das Auto zur Erweiterung des eigenen Selbst geworden ist, wird sich niemand den Autobesitz verbieten lassen. Das selbstlenkende Auto ist freilich an sich schon eine Entwicklung in die Richtung dieser Desidentifikation: Ich bin der Fahrgast und nicht mehr der Lenker, damit gebe ich einen Teil des Machtgefühls ab, das mit dem Autofahren verbunden ist. Vielleicht ist die Hoffnung berechtigt, dass die Autonutzung entemotionalisiert und der Vernunft zugänglich gemacht wird. Denn es sind die Emotionen, die alles, was am Autoverkehr schädlich und menschenfeindlich ist, verantworten.


7. Hier kommen die Drohnen und fliegenden Autos!


Große und kleine Quadkopter und Multikopter haben sich im vergangenen Jahr in Szene gesetzt, als Anzeichen dafür, dass wir uns auf eine Welt mit autonomen Drohnen zubewegen. Bekanntlich hat Amazon erstmals ein Paket mittels Drohne geliefert (ob der Empfänger gerade zuhause war oder das Paket später nochmals zugestellt werden musste, wissen wir nicht...). Ein anderer US-Versandhandel (7-11 Convenience Store) hat schon 77 Drohnenzustellungen absolviert.

Mercedes investiert eine halbe Milliarde in die Entwicklung von Drohnen. Es soll ein Lastwagen entwickelt werden, von dem Drohnen starten und landen können. Im Umkreis von Google wird an der Entwicklung von fliegenden Autos experimentiert. Die chinesische Firma eHang kündigt die erste Drohne an, die Menschen transportieren kann. Drohnen sollen bald in großer Zahl zum Transport von Organen für Organtransplantationen eingesetzt werden. Uber plant fliegende Autos: Flugtransport on demand.

Ob mit solchen Entwicklungen das Verkehrschaos einfach in die dritte Dimension verlagert wird, ist eine Frage, der wir uns in jedem Fall stellen sollten.


8. Der Vormarsch der künstlichen Intelligenz


Artifizielle Intelligenz (AI) könnte die wichtigste Technologie sein, die jemals von Menschen entwickelt wurde. Ob sich darin neue Risiken oder unglaubliche Chancen verbergen, wird sich noch weisen. Allgemein gesprochen, handelt es sich bei AI um die Fähigkeit eines Computers, eine Frage zu verstehen, seine riesige Datenbank zu durchsuchen und die beste und passendste Antwort zu geben. Damit könnte die AI der Menschheit helfen, ihre größten Herausforderungen grundlegend zu lösen.

Hier ein paar aktuelle Geschichten:
Der Hardware-Hersteller NVIDIA hat einen lernfähigen Computer-Chipset vorgestellt: Tesla P100, ein 15-Milliarden-Transistor Chip, speziell für das Tiefenlernen in der AI-Technologie entworfen.
In Oxford wurde ein Lippenleser entwickelt, der 1,78-mal besser ist als menschliche Lippenleser. Ein indisches AI-System hat die US Wahlen korrekt vorausberechnet, indem 20 Millionen Datenpunkte aus Plattformen wie Google, Twitter und YouTube genutzt wurden. Ein anderes AI-System nutzt die Schwarmintelligenz, wenn es um Voraussagen bei Pferderennen geht. Die neue Spracherkennungssoftware von Microsoft kann Umgangssprache so gut wie oder sogar besser als Menschen übertragen. Die Fehlerquote betrug nur 5,9%. Ein teilweise von AI geschriebener Roman hat die erste Runde für einen Literaturpreis geschafft. Und Ärzte in Japan haben mit Hilfe von AI einer Frau das Leben gerettet, indem der Computer den seltenen Typus von Leukämie entdecken konnte. Auch im Go wurde erstmals der regierende Weltmeister von einer Maschine besiegt.

Auch in diesem Bereich können wir ein wenig von unserem Ego freigeben: Elektronische Maschinen sind uns in so vielen Belangen uneinholbar überlegen. Das braucht unsere Freude am Spielen und an der Kreativität aber auf keinen Fall einschränken. Wir müssen ja nicht unbedingt gegen Computer Go spielen, wenn wir da sowieso immer verlieren.


9. Physik und Weltraumerforschung


Erstmals wurden Gravitationswellen entdeckt, die aus einem Zusammentreffen zweier massiver schwarzer Löcher entstanden sind. Der neunte Planet am Rand unseres Sonnensystems wurde zwar nicht gefunden, aber die Hinweise verdichten sich. Noch viel weiter draußen wurde bei Proxima Centauri ein erdähnlicher Planet entdeckt. 


10. Die kommerzielle Erschließung des Raums


Wir erleben die Geburtszeit der Ära der kommerziellen Raumfahrt, an der eine Firma von Jeff Bezos mit wiederverwendbaren Raketen beteiligt ist. Andere Firmen arbeiten daran, 2017 die erste private Mondlandung zu ermöglichen. Bis 2025 soll der erste Mensch den Mars betreten, und Stephen Hawkin und ein russischer Milliardär arbeiten an einem interstellaren Sternenschiff.

Es bleibt abzuwarten, was diese neuen Reisemöglichkeiten und –ziele im außerirdischen Raum für die Probleme im irdischen Raum leisten werden. Jedenfalls zeigt sich auch auf dieser Ebene die unendliche Kreativität der Menschen, und wenn wir auf sie vertrauen, können wir optimistisch bleiben.


Vgl.: Die Pflicht zum Optimismus

Montag, 2. Januar 2017

Die Unausweichlichkeit der offenen Gesellschaft

Die Offenheit einer Gesellschaftsform bedeutet, allgemein gesprochen, dass in ihr alle Lebensformen und Werthaltungen Platz haben. Es sind also die allgemeinen Freiheiten (freie Meinung, Rede, Religion, Weltanschauung, Bewegung, Berufswahl etc.) gewähleistet und es gilt das liberale Prinzip, dass alles erlaubt ist, was die anderen Mitglieder der Gesellschaft nicht in ihrer Freiheit einschränkt. Einfach gesagt, jeder kann so laut seine Musik spielen, wie sich niemand anderer dadurch gestört fühlt. Jeder kann seiner sexuellen Orientierung folgen, vorausgesetzt, dass niemand in seiner Integrität verletzt wird, wie z.B. durch erzwungenen Sex oder Sex mit Minderjährigen.

Die Vorteile einer offenen Gesellschaft liegen im Wesen der Evolution. Je unterschiedlicher und vielfältiger eine Gesellschaft ist, desto mehr Neues kann sie hervorbringen. Und das Neue ist an sich ein Evolutionsvorteil. Das, was es schon gibt, wird durch Neues nicht beeinträchtigt, sondern um weitere Möglichkeiten ergänzt. Jede Gesellschaft, die Neuerungen zulässt und fördert, kann besser mit Herausforderungen umgehen, die auftauchen. Sie verfügt über mehr Ressourcen und ist flexibler. 


Flüchtlingsbewegung und Offenheit


Ein Beispiel für diese Dynamik kann in der Flüchtlingsbewegung der letzten Zeit gesehen werden. Die Länder, die die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, weisen einen hohen Grad an Offenheit auf: Schweden, Deutschland, Österreich. 

Die Länder im östlichen Bereich der EU mit ihrer realsozialistischen Vergangenheit haben sich teilweise vehement und erfolgreich dagegen zur Wehr gesetzt, einen doch sehr ausgewogenen, auf ihre Wirtschaftsleistung bezogen verkleinerten Anteil an der Gesamtversorgung der Flüchtlinge und Asylwerber zu übernehmen. Die ungarische Regierung hat sogar in einer Volksabstimmung versucht, keine Flüchtlinge durch eine EU-Regelung übernehmen zu müssen. Dieses Phänomen mag (neben vielen anderen Faktoren) damit zusammenhängen, dass auch 27 Jahre nach dem Ende des Ostblock-Sozialismus das Vertrauen in die Offenheit dort noch sehr gering ausgeprägt ist. Über Jahrzehnte wurde in diesen Ländern das Prinzip vertreten, dass die Geschlossenheit einer Gesellschaft die beste Garantie für das Überleben und den Erfolg darstellt: die Geschlossenheit einer Ideologie. Jede Abweichung von der herrschenden Wertestruktur wurde deshalb bekämpft und unterbunden. 

Der Erfolg blieb allerdings aus, vielmehr war das Überleben der Gesellschaften bedroht, als es zunächst zur Öffnung der Sowjetunion (unter anderem mit dem Stichwort Glasnost, das mit Transparenz übersetzt wird) unter Gorbatschow und dann zur Auflösung des Ostblocks kam. Aber die Mentalität hält sich durch, vor allem, weil sich der wirtschaftliche und soziale Erfolg der Öffnung noch nicht klar abgebildet hat. Die Propaganda der Feindschaft gegen das Fremde und der Abneigung gegen die Fremden findet deshalb einen leichten Widerhall in diesen Ländern.

Nach dem Ende des realsozialistischen Experiments haben sich diese Länder die offenen Werte der EU übergestülpt, um möglichst rasch an den wirtschaftlichen Erfolgen teilhaben zu können. Die innere Entwicklung zur Offenheit hat, wie jetzt sichtbar wird, da noch viel nachzuholen und ist verständlicherweise noch nicht in dem Grad gefestigt wie in anderen Ländern mit weniger Brüchen in ihrer Geschichte.

Andere Länder hingegen, die schon länger von der Öffnung der Gesellschaft profitieren, haben eine offenere Einstellung gegenüber dem Fremden, das kommen will. Wieder spielen unterschiedliche Motive eine Rolle, z.B. Flucht vor Krieg und Überlebensunsicherheit, Flucht vor dem Mangel an wirtschaftlichen Perspektiven, Flucht vor Unterdrückung von Freiheitsrechten. Die starke Anziehungskraft gerade der Länder mit offenerer Einstellung zeigt eine wechselseitige Dynamik: Offene Gesellschaften "wissen", dass sie Zuzug brauchen und dass ihnen Zuzug auf Dauer evolutionäre Vorteile bringt; Emigranten "wissen", dass sie gerade in solchen Ländern gebraucht werden und Neues beitragen können. 


Grenzen der Öffnung sind Grenzen der Offenheit


Diese Dynamik darf allerdings auch die bestehenden inneren Grenzen der Offenheit nicht überfordern. Das Erstarken rechter, d.h. öffnungsfeindlicher Gruppierungen in den genannten "offenen" Ländern ist ein Ausdruck der inneren Grenzen der Offenheit, also ein Indikator für den Grad an Offenheit, der tatsächlich besteht, und nicht nur jener, der von führenden politischen Sprechern, Intellektuellen oder Kunstschaffenden vertreten und verlautbart wird. 

Die Rede vom "vollen Boot", das nicht mehr überladen werden darf, um nicht unterzugehen (ein meist unbewusst verwendeter Hinweis auf tatsächliche Erfahrungen der meisten Flüchtlinge, die über den Seeweg nach Europa gekommen sind), bezieht sich nicht auf Fakten oder Zahlen darüber, was eine Gesellschaft sozial und finanziell an Integration von Fremdem leisten kann. Es ist Ausdruck eines kollektiven Gefühls, Ausdruck diffuser Ängste, die die Kehrseite der offenen Gesellschaft darstellen. 

Das Gefühl der Überforderung, das viele Regierungen auch in den "offenen" Ländern dazu bringt, die Grenzen abzuschließen, reagiert auf diese diffusen Ängste. Angst ist das Gegengefühl zu Vertrauen und im Zweifelsfall immer mächtiger, weil die Angst immer darauf verweisen kann, wie eng sie mit dem Überlebenswissen verbündet ist. Dieses Bündnis ist aber deshalb illusionär, weil das Überlebenswissen meist veraltet ist und deshalb auf die jeweils aktuelle Realität nur sehr bedingt angewendet werden kann.

Auf dem Klavier der kollektiven diffusen Ängste spielen die genannten rechtslastigen Propagandisten, die erstaunlich wenig zukunftsfähige Ideen und statt dessen Angstparolen präsentieren und deshalb ein Mehr an Geschlossenheit einfordern: Geschlossenheit nach innen mit der Ideologie der nationalen Gemeinschaft und Geschlossenheit nach außen mit realen oder legistischen Mauern und Zäunen. Sie sprechen jene in der Gesellschaft an, denen der Wert der Offenheit nicht bewusst ist, sei es, dass sie persönlich davon zuwenig profitiert haben ("Modernisierungsverlierer", "Globalisierungsverlierer"), sei es, dass sie die bestehende Offenheit für selbstverständlich nehmen samt den positiven Auswirkungen, von denen sie profitieren, z.B. ein liberales Bildungssystem, eine freie Marktwirtschaft, Meinungsfreiheit usw. und nicht erkennen, dass diese Offenheit nur weiterbestehen kann, wenn sie wächst und dazu Neues integriert.


Die Scheinalternativen 2016


Das eben zu Ende gegangene Jahr hat uns eine scheinbare Alternative vorgeführt: Wir können zwischen Geschlossenheit und Offenheit wählen. Manche Länder wählen die Geschlossenheit (z.B. USA, UK, Polen, Ungarn, Russland ...), andere die Offenheit (z.B. Österreich mit einem Präsidenten aus der Grünbewegung, Deutschland mit einer starken politischen Mitte ...). Diese Wahlmöglichkeit ist aus meiner Sicht deshalb scheinbar, weil es keine Alternative zur Öffnung gibt, sondern nur einen Einfluss auf ihr Tempo. 

Der Blick auf die Geschichte zeigt den unaufhaltbaren Fortschritt des Prinzips Öffnung. Kleines Beispiel: Die Freiheit der Bewegung. Vor 200 Jahren war der Lebens- und Bewegungskreis fast aller Menschen auf 30 Kilometer im Umkreis beschränkt; heute kann jeder fast jeden Punkt auf der Erde erreichen, das Weltall zum Teil schon mit eingeschlossen. Alle, die mangels Geld daran nicht teilhaben können, wünschen sich diese Freiheit und werden sie nutzen, sobald es die finanziellen Mittel erlauben.

Jedes der zahlreichen Gegenbeispiele, die die Geschichte auch kennt, erweist sich als temporäres Hemmnis, als Bremsmanöver, das dann, wenn es überwunden ist, oft zu einem besonders starken Anstieg der Offenheit führt (z.B. die extreme Geschlossenheit, die der Nationalsozialismus erzwungen hat, mündete nach seinem Ende zu einer noch stärkeren Öffnung der Gesellschaft in Deutschland und Österreich und vielen anderen Ländern, die einen Höhepunkt in der sozialen Revolution in Folge der 68er Bewegung fand, ein Öffnungsschub, von dem wir im Grunde heute noch zehren).

Es bleibt auch noch abzuwarten, ob das Vereinigte Königreich nach seinem Ausscheiden aus der EU nicht eine Form der Offenheit eine andere austauscht. England ist ein Vorzeigeland für Offenheit, das sein Heil seit Jahrhunderten in der ökonomischen Expansion im Außen vollzogen hat, in deren Folge es zu einem intensiven Austausch mit dem Neuen gekommen ist. Die Rede ist ja davon, nach dem Verlust der Handelsbeziehungen zu Europa die Wirtschaftsbeziehungen zum mittel- und ostasiatischen Raum zu verstärken; die Folge kann sein, dass dann die Immigranten weniger aus Rumänien und mehr aus Malaysia oder Vietnam nach England drängen, zum Leidwesen der Brexit-Befürworter.


Austausch ist Öffnung


Diese Welt ist eine; die Menschheit ist auf den Erdball beschränkt und muss immer wieder Wege finden, um mit dem zur Verfügung stehenden Raum und den vorhandenen Ressourcen zurecht zu kommen. Das Zauberwort dafür heißt Kommunikation oder Austausch. Bei jeder Form des Austausches begegnet das Eigene dem Fremden, und es entsteht ein gemeinsames Drittes, etwas Neues, das dann die Entwicklung weiterbringt. Die Begegnung mit neuen kulturellen Elementen, wie sie dort stattfindet, wo Flüchtlinge auf Einheimische treffen, bewirkt für beide eine innere Öffnung, stärker für jene, die kommen, aber auch wichtig für jene, die schon da sind. Vorausgesetzt ist nur, dass diese Begegnungen gewaltfrei stattfindet, und wenn das sichergestellt werden kann, können sie nur für beide Seiten fruchtbringend sein.

Wir brauchen zweierlei, um mit diesen Herausforderungen gut umgehen zu können: Die Bereitschaft und das Vertrauen, uns auf Neues einzulassen und daraus neue Wege zu entwickeln, und das Verständnis für jene, die das Vertrauen nicht aufbringen können. Auch zwischen diesen Positionen muss die Kommunikation weitergehen, damit die Spaltung der Gesellschaft in einen Teil, der die Öffnung weitertreiben, und in einen anderen, der sie zurückschrauben will, vermieden wird. Wir müssen also verhindern, dass sich Parallelgesellschaften bilden, die nur intern ihre Vorurteile austauschen und bestärken. Wo die Ängste auf offene Ohren stoßen, kann Vertrauen wachsen. Wo Vertrauen wächst, öffnen sich Menschen für Neues.

Vgl. Toleranz und ihre Grenzen