Samstag, 8. Oktober 2016

Der Rechts-Trend

Viele Ereignisse auf dieser Welt spotten scheinbar der Auffassung Hohn, dass sich die Welt zum Besseren weiterentwickelt, wie es die Theorie der Bewusstseinsevolution vorgibt. Schon Voltaire sah das große Erdbeben von Lissabon als Beweis dafür, dass die Welt in keine gute Richtung steuere. Kriege und Konflikte, Flüchtlingsbewegungen, Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen, Erfolge rechtspopulistischer Bewegungen usw. – all das weist darauf hin, dass sich die Entwicklung nach rückwärts orientiert, zurück zu Ängsten und Werthaltungen, die schon überwunden schienen.

Ich möchte hier das letztere Phänomen aus der Sicht der Stufen des Bewusstseins beleuchten. Viele Zeichen deuten darauf hin, dass sich die Gesellschaften „nach rechts“ orientieren, zumindest diejenigen, die in unserem Fokus stehen: In Deutschland treibt die AfD die konservative Partei vor sich her, in Österreich erreicht der FPÖ-Kandidat fast 50% der Stimmen der Präsidentenwahl, in Ungarn und anderen osteuropäischen Ländern wird ganz offen die nationalistische Karte als unangefochtener Trumpf ausgespielt, Frankreich könnte bald eine nationalistische Präsidentin haben, die Engländer ziehen sich auf ihre Insel zurück und wollen sich gegen die europäische Personenfreizügigkeit abschotten, in den USA hat ein unberechenbarer aggressiver und nationalistischer Egomane reelle Chancen auf das Präsidentenamt etc.

Der Rechts-Ruck


Was hat es also mit dem Rechts-Trend auf sich? Ist das eine Rückentwicklung in eine mittelalterliche Bunkermentalität, sind Zeiten für die Zusammenschlüsse zu großen Netzwerken und politischen Kooperationen vorbei und will jedes Land nur mehr das eigene Süppchen kochen, weil es ja doch am besten wie von Mama schmeckt? Weit und breit ist nichts von Fortschritt zu mehr Menschlichkeit und Toleranz, zum Teilen von Lasten und Chancen, zum Ausgleich zwischen oben und unten, reich und arm zu sehen. Stattdessen haben die Prediger von Ängsten und Irrationalismen mehr Zulauf denn je, und der berüchtigte „Ruf nach dem starken Mann“ wird immer populärer.

Ängste machen uns kleiner, körperlich ziehen wir uns zusammen, wenn wir uns schrecken, und in unserer Denk- und Urteilsfähigkeit schrumpfen wir. Unsere Handlungsfähigkeit reduziert sich auf einfache Alternativen: Kämpfen oder Flüchten in verschiedenen Varianten. Verängstigte Menschen hören auf Menschen, die ihre Ängste teilen und verstärken. Soweit ist die Epidemie der Ängstlichkeit nachvollziehbar.

Aber schwerwiegender sind die verborgenen Ängste. Denn sie stehen dem Ausbau des Vertrauens und der konstruktiven Weiterentwicklung im Weg. Sie äußern sich in den vielfältigen Formen der Skepsis vor dem Neuen und im Mangel an Selbstwert. Ängste, die offen artikuliert werden, treten in den Diskurs ein und mobilisieren Gegenkräfte, in den Individuen wie in der Gesellschaft. Es ist klar, dass solche tiefe Schichten auch viel Hass an die Oberfläche bringen, wenn sie einmal angezapft sind.

Es ist wichtig, dass alle Ängste, die irgendwo gespeichert sind, zum Ausdruck kommen. Im öffentlichen Diskurs muss dann klargestellt werden, wie sie in einer liberalen Demokratie Berücksichtigung finden können und wie sie von Hassäußerungen unterschieden werden können. Die Gesellschaft muss also einerseits jede Form von Hass in der öffentlichen Auseinandersetzung unterbinden, denn Hass steht an der Schwelle zur Gewalttätigkeit und rüttelt damit direkt an den Grundstrukturen jeder Gesellschaftsordnung. Andererseits geht es um ein Eingehen und Verstehen der Ängste, damit der Unterschied zwischen rationalen und irrationalen Anteilen herausgearbeitet werden kann.

Die Ängste der Menschen wollen gesehen werden und Widerhall und Beachtung finden. Auch deshalb kann es in der Sicht der Bewusstseinsevolution einen weiterreichenden Sinn haben, dass rechte Parteien öffentliche Erfolge feiern. Das beruhigt manche der Ängstlichen und entzaubert zugleich die Fähigkeiten der Populisten. Denn diese Ängste verschwinden nicht dadurch, dass sie für „archaisch“ oder „primitiv“ erklärt werden. Sie sind Teil unseres Kollektivs. Deshalb brauchen sie auch Sprachrohre, mit deren Hilfe sie sich artikulieren. Es braucht aber auch selbstbewusste Gegenstimmen, damit deutlich wird, dass die Ängste nicht das letzte Wort haben können, sondern überwunden werden sollten, damit die Zukunft als Zukunft gestaltet und nicht als Imitat der Vergangenheit museal inszeniert wird.

Der lange Atem der Evolution


Der Atem der Bewusstseinsevolution ist lang, sehr lang. Sie rechnet in größeren Zeiträumen als unsere individuellen kurzfristigen Perspektiven, die uns von unseren Problemhorizonten vorgegeben werden: Wie bewältigen wir die Integration von zehntausenden Menschen, die als Flüchtlinge gekommen sind? Wer zahlt das alles, und wie betrifft das unseren Lebensstandard und unsere Lebensqualität? Auf diese Fragen wollen viele Menschen schnelle Antworten und finden diese vor allem bei den rechten Populisten.

Die langfristigen Trends berechnen Ökonomen und Bevölkerungsstatistiker, die davon ausgehen, dass es sich „rechnet“, Flüchtlinge auch in größerer Zahl aufzunehmen. Das wird die Zukunft weisen und kümmert die noch längerfristig wirksamen Trends der Bewusstseinsevolution nur am Rande. Damit die Entwicklung weitergehen kann, ist es wichtig, die Untergründe der Angstszenarien zu verstehen. Erst auf dieser Grundlage können dann die Kräfte erwachen, die die Bewältigung der Aufgaben erfordern.

Ängste und Schuldgefühle


Die westlichen Gesellschaften, um die es hier geht (viele außereuropäische Kulturen gehen durch Phasen eines rapiden Fortschritts mit sinkenden Armutszahlen und der Ausbreitung materialistischer Lebensformen, sie kämpfen mit anderen Problemen), sind in ihrer Inhomogenität von einer Gemengelage aus Bewusstseinsschichten geprägt. Es gibt viele Menschen in unseren Ländern, die für Ängste aus frühen Evolutionsstufen empfänglich sind, und viele andere, bei denen diese Ängste erst durch die neuen Entwicklungen, mit denen wir seit kurzem konfrontiert sind, wachgerufen und aktualisiert werden, vor allem solche, die sich in ihrem wachsenden Wohlstand wie selbstverständlich zuhause fühlen und jetzt spüren, dass dieser bedroht sein könnte.

Es sind die Ängste vor dem Fremden, vor dem Neuen, vor dem Verlust von Sicherheiten und Zukunftschancen usw. Und es sind unbewusste Schuldgefühle, die mit diesen Ängsten verbunden sind: Der Wohlstand, der in Gefahr gerät, gründet zum Teil auf der Armut der Menschen, die jetzt vor der Tür stehen und anklopfen. Oder es sind Waffen, die in unseren Fabriken Arbeitsplätze schaffen und Steuereinnahmen lukrieren, die die Wohnungen dieser Menschen zerstört und ihre Angehörigen umgebracht haben. Sie wollen wieder ein Dach über dem Kopf und eine Gesellschaft, an der sie mitwirken können.

Wir haben an der Armut und an den Kriegen Geld verdient. Wir tragen unseren Teil an der Schuld des Elends auf dieser Welt, und fürchten uns davor, daran erinnert zu werden. Deshalb sollte alles möglichst weit von uns geschoben sein, was uns darauf aufmerksam machen könnte. Das Bedrohliche sind also letztlich nicht die fremden Menschen, sondern die eigene Schuld.

Als Menschenfamilie sind wir involviert in das Elend und Leid, das in vielen Gebieten dieser Erde grassiert. Das heißt nicht, dass wir dafür allein verantwortlich sind und alle diese Probleme lösen müssten, es heißt aber auch nicht, dass wir uns davon abschotten können, in der Meinung, wir hätten damit überhaupt nichts zu tun. Vielmehr führen uns die Flucht- und Wanderbewegungen dieser Tage direkt vor Augen, dass es massive globale Probleme gibt, die wir als Menschheit gemeinsam lösen müssen, und, wenn diese Gemeinsamkeit erschaffen werden kann, auch lösen können.

Das ist ein Fortschritt im Bewusstsein, ob wir ihn angenehm und förderlich finden oder nicht, spielt für die evolutionäre Bewegung keine Rolle. Die Globalität der Krisen und die räumliche und emotionale Nähe der Betroffenen macht das Ausweichen und Ausreden schwerer.

Das macht vielen Menschen Angst, die bisher für die Angstparolen der Rechtsparteien immun waren. Niemand weiß, wie diese globalen Spannungen und Ungleichheiten gelöst werden können, und deshalb erscheint es vielen einfacher, gleich gar nicht damit anzufangen, sondern statt dessen die Zäune und die eigenen Scheuklappen hochzufahren und den Politikern nachzulaufen, die versprechen, dass sich nichts ändern wird an den Ungleichheits- und Ausbeutungsstrukturen, die unsere ohnehin recht prallen Säckel mit schmutzigem Geld füllen.

Rechte Politik löst keine Probleme


Doch diese Verstrickung kann erst sichtbar werden, wenn sie spürbar wird und zumindest in Verzerrungen und ideologischen Ummantelungen zum Ausdruck kommt. Das Versteckte und Verdrängte hat mehr Macht als das offen zur Schau Getragene und zu Gehör Gebrachte. Die Menschen müssen reagieren, und wenn sie dazu rechten Propagandisten nachlaufen, bringt ihnen das eine kurzfristige Erleichterung, aber die Enttäuschung ist nur eine Frage der Zeit. Denn aus logischen Gründen sind die rechten Parteien nicht in der Lage, Probleme zu lösen, sondern können sie durch Scheinlösungen nur verschlimmern.

Evolutionstheoretisch betrachtet, heißt das, dass umfassendere und tiefer verborgene Schichten der Angst an die Oberfläche kommen, und das dient dem Bewusstseinsfortschritt. Kurzfristig kann es sein, dass da und dort die Rechtspopulisten an politische Machtpositionen kommen, doch zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass sie diese nicht lange halten können, weil sie in ihrer Verhaftung an der Erhaltung des status quo oder an der Herstellung früherer Zustände über keine Kompetenzen zur Problemlösung verfügen. Probleme von heute können nicht mit Werthaltungen von vorgestern gelöst werden.

Das Verschieben oder Aufschieben von Problemen beschäftigt dann die nachfolgenden Jahre und Jahrzehnte, wie z.B. die von der Bush-Regierung angezettelten Kriege sowohl das weltweite Finanzsystem in Turbulenzen gebracht haben also auch bis heute ganze Regionen destabilisiert haben, was massive monetäre und menschliche Verluste bedeutet. Im kleineren österreichischen Rahmen braucht man nur an die Regierungsbeteiligung von FPÖ/BZÖ denken, die zwischen 2000 und 2006 vor allem durch Skandale und Korruption auffiel und nicht durch inhaltliche Neuorientierungen und zukunftsweisende Reformen. Die Gerichte sind bis heute (10 Jahre danach) mit der juridischen Aufarbeitung dieser Verbrechen und Verfehlungen befasst.

Freilich kann die Geschichte die Aufgaben, die wir als Menschheit zu bewältigen haben, nicht durch ein imaginäres Zurückschrauben der Zeit oder durch Verleugnung vergessen. Die Geschichte präsentiert sie so lange, bis sie mit Einsatz und Verantwortung angegangen werden. Die scheinbar durch inkompetente und eigensüchtige Politiker für den Fortschritt verlorenen Jahre schärfen schließlich das Bewusstsein für das, was getan werden muss.

Vertrauenstest


Der Rechtstrend ist ein Symptom der Verunsicherung, die er aber selber gar nicht beheben kann, weil sein Potenzial nur darin liegt, das, was er beseitigen will, zu verstärken. In der Verunsicherung fehlt das Vertrauen. Jede Krise können wir nutzen, um dieses Vertrauen zu stärken, in uns und um uns herum. Damit bauen wir aktiv an der Zukunft mit, ohne von den Ängsten, die ihre Wurzeln in der Vergangenheit haben, gelähmt zu sein, aber auch ohne sie verleugnen oder ignorieren zu müssen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen