Freitag, 30. September 2016

Das Unterscheiden des Absoluten und des Relativen in der Lehre

Lehrer in der Erleuchtungsszene werden immer beliebter. Sie sitzen meist vor ihrem Publikum und verkünden ihre Einsichten. Wenn Fragen kommen, werden sie beantwortet, aber diskutiert wird nicht. Das Gefälle ist deutlich, eben ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, wo der eine weiter ist und mehr zu sagen hat als der, der lernen will, ob dorthin zu kommen, wo der Lehrer schon ist.

In diesem Blog wurde mehrfach der Unterschied von relativer und absoluter Wahrheit thematisiert. Die hier angesprochenen Lehrer besuchen wir, weil wir mehr von der absoluten Wahrheit erfahren wollen, nicht, weil wir mehr über die Hintergründe des Syrien-Konflikts oder über die Funktionsweise von Abgastests wissen wollen. Doch wie genau nehmen es die Lehrer des Absoluten mit der Unterscheidung des Absoluten und des Relativen?


Es gibt keine Lehre des Absoluten, weil sich das Absolute nicht in Worte fassen lässt und deshalb in keine lehrbare Form gebracht werden kann. Jede Beschreibung des Absoluten ist relativ. Weil sie Worte benutzt, die mehrdeutig sind. Dazu kommt, dass die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler immer relativ ist, weil dabei zwei Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Geschichten und Wahrnehmungsweisen zusammenkommen. Alles, was ausgesprochen wird, bekommt erst durch das Hören seine volle Bedeutung und seinen endgültigen Sinn.

Das ist unsere Grundverfasstheit als Menschen. Wir sind soziale Wesen und deshalb immer in sozialen Netzwerken mit wechselseitigen Abhängigkeiten. Diese Verfasstheit trägt auch jeder Lehrer in sich. Es macht gar keinen Sinn, sich davon befreien zu wollen, denn damit würde man einen Angelpunkt außerhalb der menschlichen Gesellschaft suchen, den es nicht geben kann, analog dem Grundsatz von Paul Watzlawick, dass wir nicht nicht kommunizieren können. Wir können nicht nicht relativ sein.

Dennoch haben wir einen Zugang zum Absoluten. Dieser führt uns aber nicht aus der Relativität heraus, sondern fügt ihr eine neue Dimension hinzu. Der Lehrer dient als Wegweiser in diese neue Dimension, kann das aber nur sein, wenn er die Möglichkeiten und Fallen des Relativen gut kennt.

In jeder Begegnung im Relativen, also auch in der zwischen Lehrer und Schüler, kommen deshalb alle Phänomene des Relativen vor: Gefühle, Machtthemen, Erwartungen, Beurteilungen usw. Die Kunst des Lehrers besteht darin, diese Phänomene transparent zu machen, sodass hinter der relativen Kolorierung durch das Persönliche das Absolute sichtbar oder spürbar wird. Diese Wachsamkeit braucht es auch sich selbst gegenüber, denn kein Lehrer ist davor gefeit, Relatives als Absolutes anzubieten.

Dazu gehört, dass die Schülerin bewusst oder unbewusst versuchen wird, den Lehrer in die eigene Welt des Relativen einzuladen. Er will testen, ob und wieweit der Lehrer innerlich frei ist, ob und inwieweit seine Persönlichkeit im Relativen verhaftet ist. Dort, wo die Verhaftung aufgelöst ist, geht die Verführung ins Leere und begegnet einer bedingungslosen Annahme, die aus einem Zustand des inneren Friedens gespeist ist.


Die Lehrerin braucht die Unterscheidungskraft zwischen dem Relativen und Absoluten, sonst stiftet sie Verwirrung. Der Schüler muss für sich erst lernen, wie der Unterschied gemacht werden kann. Doch viele Lehrer fühlen sich in ihrem Lehren so im Fluss, dass sie leicht den Unterschied übersehen. Sie reden sich vom einen Bereich in den anderen und wieder zurück und überdecken oft mit Eloquenz die Zick-Zack-Wege ihrer Rede. Subjektive Meinung mischt sich mit Einsichten aus der Tiefe des Absoluten, ohne dass der Übergang deutlich gemacht und erklärt würde.

Der Lehrer sollte also immer klarmachen, von welcher Position aus er spricht, damit die Zuhörer wissen, wo sie die Aussagen einordnen können: Ist etwas gewissermaßen die Privatmeinung über ein Thema, die aus der eigenen Lebenserfahrung kommt und die ein relatives Angebot darstellt: Überprüfe als Empfänger, ob du diese Aussage annehmen kannst oder nicht, ob sie hilfreich und weiterführend ist oder nicht, ob du eine gegenteilige Ansicht hast oder nicht. Ein Widerstand gegen eine relative Aussage, den die empfangende Person wahrnimmt, ist wertvoll, weil sie auf der Wahrheitssuche weiterhilft. Um wachsen und sich weiter entwickeln zu können, braucht die relative Wahrheit die kritische Auseinandersetzung. Das beste Beispiel dafür bieten die Wissenschaften, deren Erkenntnisfortschritt in der laufenden Kritik an schon bestehenden Theorien und Forschungsergebnissen besteht.

Relatives ist immer kritikfähig und kritikwürdig. Es darf nicht als Absolutes missverstanden oder ausgegeben werden, sonst wird es schnurstracks zur Ideologie. Kritik ist das Medium im Relativen, das es in Bewegung hält und damit für das Absolute öffnet. Denn die Kritik orientiert sich am Ideal, das im Absoluten beheimatet ist. Alles, was am Absoluten verfestigt wird, ist schon relativ. Dies zeigt uns die Geschichte der Dogmatisierungen.

Die Suche nach der absoluten Wahrheit hat ein anderes Verhältnis zur Kritik. Hier kann ein Widerstand, den ein Schüler gegen eine Aussage wahrnimmt, bedeuten, dass er sich nicht auf die Radikalität des Absoluten einlassen will, sondern bei seiner bequemeren relativen Weltsicht stehenbleiben will. Es ist also ein Widerstand, der weder dem Erkenntnisgewinn noch dem inneren Wachsen dient, sondern von der eigenen Angstkonditionierung gesteuert ist. Hier braucht er einen klaren Hinweis des Lehrers, den dieser nur einbringen kann, wenn ihm selber der Unterschied zwischen dem Relativen und Absoluten vertraut und geläufig ist.

Die absolute Wahrheit kennt ja keinen internen Erkenntnisfortschritt. Denn sie ist ja schon immer fertig. Es gibt nur den äußeren Erkenntnisfortschritt: Mehr und mehr Personen können mehr und mehr Facetten und Zugangsformen zum Absoluten erschließen. Dazu dient die Lehre: dem Schüler zu seinem Zugang zum Absoluten zu verhelfen.

Ob die Übermittelung erfolgreich ist, bemisst sich daran, wieweit der Empfänger einen Grad an innerer Befreiung erleben kann, der sich signifikant von der Alltagserfahrung unterscheidet. Es gibt also kein objektives Faktum, das den Erfolg einer Kommunikation über das Absolute verifizieren könnte. Und es geht auch gar nicht darum, vielmehr geht es um inneres Wachsen, das seine eigene Verlaufsform hat, die in den seltensten Fällen eine lineare Richtung hat.

Je klarer und eindeutiger die Unterscheidung zwischen dem Absoluten und dem Relativen vom Lehrer vermittelt werden kann, desto einfacher gelingt dieses innere Wachsen beim Schüler hin zum Absoluten der Wahrheit, die nur von Moment zu Moment existiert. Was sich nicht mehr sagen lässt, sondern was im Inneren gespürt und was sich von selbst mitteilt, jenseits oder innerhalb der Worte, die gesagt werden, ist außer Streit gestellt.


Vgl. Die zwei Wahrheiten
Die zwei Wahrheiten und die Konfliktkultur
Die zwei Wahrheiten und die Religionen
Die zwei Wahrheiten und der Alltag 
Die zwei Wahrheiten und das Ego 
Die zwei Wahrheiten und die Sprache

PS. das ist der 300. Blogartikel auf dieser Seite! 

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