Sonntag, 1. Mai 2016

Ist die Schöpfung intelligent?

Wenn wir in die Betrachtung der Natur versinken, kommen wir in ein Staunen: Wie wunderbar ist alles eingerichtet, welche tiefe Harmonie und Kohärenz ist in allem. Wir geraten in das Gefühl des Erhabenen, wie es Immanuel Kant in Bezug auf die Naturschönheit benannt hat. Es enthebt uns unserer kleinlichen Sorgen, Nöte und Ängste. Es gibt immer etwas Größeres, das uns umfängt und hält.

Der spirituelle Lehrer OM C. Parkin schreibt in seinem Buch „Angst. Die Flucht aus der Wirklichkeit“:

„Wir haben immer Angst vor dem, was wir in Wirklichkeit nicht akzeptieren. Es kann so erleichternd und entspannend sein, in Akzeptanz aller Möglichkeiten in jedem Moment dem Leben offen zu begegnen, in dieser offenen Weite. Nehmen wir an, in uns taucht die Angst auf davor, den Partner zu verlieren. Das bedeutet, wir akzeptieren diese Möglichkeit nicht (…), die eine derjenigen Möglichkeiten ist, welche der Ablauf in der Totalität zeigen kann. Dieser Ablauf folgt einem intelligenten Plan. Glaubst du allen Ernstes daran, dass dieser Ablauf unintelligent ist? Oder dass du intelligenter bist, als dieser unpersönliche Ablauf?“ (S. 134)

Die Intention der Belehrung ist klar: Es geht um die Anmaßung des egogelenkten Denkens, das immer glaubt, dass sich die Welt nach den eigenen Erwartungen und Vorstellungen richten muss, damit wir unsere Komfortzone nicht verlassen müssen. Dagegen führt das Akzeptieren des Lebens mit seinen Wechselfällen, Überraschungen und Enttäuschungen dazu, innerlich zu wachsen und eine tiefere Gelassenheit zu finden. Dazu hilft die Annahme, dass es eine größere Regie gibt, die den Ablauf der Dinge regelt, auf die wir in Wirklichkeit keinen Einfluss haben.

Allerdings stellt sich die Frage, ob wir „allen Ernstes“ annehmen können, dass die Vorgänge in ihrem Insgesamt etwas mit Intelligenz zu tun haben. Denn Intelligenz ist ein sehr menschliches Konzept, bezogen auf den Leistungsgrad der unterschiedlichen Fähigkeiten, die wir brauchen, um unser Leben zu bewältigen. Über die Fragwürdigkeit der Messung dieser Fähigkeiten habe ich an anderer Stelle hingewiesen.

Wenn wir andere Naturwesen betrachten und auf ihre Intelligenz hin bewerten, messen wir sie immer am Maßstab unserer eigenen Fähigkeiten – für ihr eigenes Leben sind die Amöben oder Gorillas bestens ausgestattet und brauchen gar keine Bewertung dafür. Allenfalls können wir uns dafür interessieren, ob es unter den einzelnen Mitgliedern einer Spezies gewitztere oder doofere gibt. Aber für solche Vergleiche brauchen wir einen eigenen Intelligenzbegriff angepasst an die jeweilige Spezies.

Die Natur ist, wie sie ist, das Universum ist, wie es ist. Gehen wir nicht in eine Anmaßung, wenn wir die Maßstäbe, die wir für unser eigenes menschliches Überleben in diesem Universum entwickelt haben, auf das unendlich Größere zu übertragen? Die Gesetzmäßigkeiten, die wir dem Ganzen durch die wissenschaftlichen Forschungen abluchsen, zeigen nichts von einer Intelligenz, die in diesem Ganzen wirkt, sondern von unserer Intelligenz, Modelle von den Prozessen zu entwerfen, um das, was da läuft, für unsere Köpfe verständlich und technisch nutzbar zu machen.

Aus dieser Sicht betrachtet, sind wir noch viel unwissender als wenn wir glauben, von einer großen Intelligenz reden zu können, die da alles steuert und reguliert. Nicht einmal das wissen wir, und wir können es nicht einmal wissen noch werden wir es jemals wissen. Ob Intelligenz in den Vorgängen im Universum herrscht und welche Intelligenz das sein könnte, ist gänzlich aus unserem Horizont ausgeschlossen. Da können wir noch so weit in unserer inneren Weisheit fortgeschritten sein – wo die Grenzen unserer Erkenntnis sind, beginnt die Spekulation. Denn die Erkenntnis ist immer auch eine körperliche und damit an die Grenzen unserer Körperlichkeit, an die Vorgegebenheit unserer Sinnesorgane und unseres Nervensystems gebunden. Und Spekulation heißt willkürliches, also ego-geleitetes Fantasieren, ohne Realitäts- und Wahrheitsbezug und ohne interaktive Verbindlichkeit.

Ähnlich wie das Eingeständnis, dass es Zufälle sind, die die Entwicklung steuern, ist es eine größere und angemessenere Form der Bescheidenheit, wenn wir darauf verzichten, intelligente Absichten oder Pläne im Ganzen zu vermuten. Sind wir in der Natur und fühlen uns mit ihr verbunden, so ist das ein Genießen des Erhabenen, ohne dass wir ein Konzept in sie hineinlegen. Wir sind dann Teil des großen Ganzen, fern vom Ego, das überall seine eigene Agenda sucht und bestätigt wissen will. Das reine Staunen ist frei von Konzepten, sondern öffnet für die Weite des Umgreifenden.


Zitat: OM C. Parkin: Angst. Die Flucht aus der Wirklichkeit. AdvaitaMedia 2015
Vgl. Evolution und Zufall

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