Montag, 15. Februar 2016

Mütter - Väter - Kinder

Zwischen Vätern und Müttern gibt es viel Gemeinsames und viel Unterschiedliches. Zum einen ist klar, dass die Mutter eine intensive und tiefgreifende Geschichte mit ihrem Kind teilt, die durch die Monate der Schwangerschaft von der Empfängnis bis zur Geburt reicht. Dadurch, dass das heranwachsende Kind voll am mütterlichen Stoffwechsel teilnimmt, dadurch, dass die Mutter in der Lage ist, intern mit dem Kind zu kommunizieren, dadurch, dass das Kind alle Rhythmen der Mutter aufnimmt und ihr Leben in dieser Zeit voll teilt, entsteht eine vielgestaltige und komplexe Beziehung zwischen Mutter und Kind, die vom Vater nie in dieser Dichte nachvollzogen werden kann. Sie wächst und entwickelt sich über neun Monate in Exklusivität.

Väter treffen frühestens bei der Geburt auf ein schon weitgehend fertiges Lebewesen und haben seine Entwicklung nur indirekt, gefiltert durch den mütterlichen Organismus mitbekommen – falls sie überhaupt präsent sind, was die Natur im einfachen Sinn der Weitergabe des Lebens nicht unbedingt erfordert. Mit der Geburt entsteht die Beziehung zwischen einem relativ selbständigen und ansatzweise handlungs- und kommunikationsfähigen Individuum und dem Erwachsenen.

Bindung und Autonomie


In der Psychoanalyse wurde von der Mutter-Kind-Symbiose gesprochen (z.B. Margaret Mahler), in der das Kind körperlich und seelisch völlig von der Mutter abhängig sei. Es könne weder zwischen Innen und Außen, noch zwischen sich und der Mutter unterscheiden. Allerdings haben die Ergebnisse der Säuglingsforschung z.B. durch Daniel Stern (Die Lebenserfahrung des Säuglings, Klett-Cotta 2011) gezeigt, dass das Baby schon von früh an als selbständiger Partner der Mutter agiert und kommuniziert.  


Dennoch ist es nicht verwunderlich, wenn die Vertrautheit in dieser Interaktionsbeziehung zwischen Mutter und Kind von Anfang an stärker ist als mit dem Vater. Denn diese Beziehung beginnt erst mit der Geburt, wenn auch der Vater das Baby von seinen Bewegungen im Mutterleib und das Baby den Vater über seine Stimme kennen mag. Sie beginnt in einem Zustand der relativen Autonomie, während der Aspekt der Abhängigkeit in der Mutter-Kind-Interaktion aufgrund der Vorgeschichte in der Schwangerschaft prominenter vertreten sein wird.

Die Polarität von Vater und Mutter


Daraus stammt die klassische Polarität zwischen den Müttern, die die Bindung zum Kind vor dessen Autonomie stellen, und die Väter, für die die Autonomie des Kindes wichtiger ist als die Bindung. Mütter verzehren sich manchmal vor Sehnsucht, wenn die Kinder größer werden und das Haus verlassen. Väter ermutigen die Kinder, in die Welt hinauszugehen und Abenteuer zu suchen. Mothers stroke and fathers poke, Mütter streicheln und Väter schubsen, wie es das Englische so prägnant ausdrücken kann.

Natürlich sind beide Seiten der Polarität wichtig für Wachstum und Entwicklung. Und natürlich verstehen Väter in der Regel etwas von Bindung und Mütter etwas von Autonomie. Natürlich freuen sich Mütter, wenn die Kinder in der Welt erfolgreich sind, und natürlich haben Väter Ängste, wenn z.B. die Tochter erstmals alleine ausgeht. Aber die biologische Regie der Vorgeschichte verteilt in der Regel die Gewichtung unterschiedlich zwischen Vätern und Müttern, und das ist auch gut so, weil die Kinder beides in ihrem Leben brauchen und so Rollenvorbilder von verschiedenen Personen mitnehmen können. Kinder, die das Schicksal haben, nur mit einem Elternteil aufzuwachsen, leiden unter dem Mangel, ebenso wie der Elternteil, der versuchen muss, beide Aspekte zu vermitteln, was nur schwer gelingen kann.

Das väterliche Erbe ist gleich wichtig wie das mütterliche - genetisch und emotional


Das ist die weitgehend akzeptierte Sicht der Rollenverteilung zwischen Müttern und Vätern in Psychologie und Soziologie. Jedoch wird durch die Erkenntnisse der pränatalen Psychologie, die davon ausgeht, dass das menschliche Bewusstsein und zelluläre Erinnerungsvermögen bis zur Empfängnis zurückreicht, eine Erweiterung der Sichtweise angeboten. 


Da der Anfang des menschlichen Lebens nur durch die Vereinigung einer Samenzelle mit einer Eizelle möglich ist, ist er gleichermaßen väterlich und mütterlich geprägt. Auf der Ebene der Biologie ist in gewisser Weise das Väterliche gleich wichtig wie das Mütterliche. Dazu kommt, dass das genetische Erbe, das vom Vater kommt, genauso wichtig für die Entwicklung der Persönlichkeit ist wie das, was von der Mutter kommt. Über diese genetischen Informationen „kennt“ das heranwachsende Baby den Vater und „weiß“ etwas über seinen Charakter und sein Leben. Das kann der Grund sein, warum Babys von Anfang an ein besonderes Vertrauen zu ihrem Vater entwickeln, wenn sich dieser seinerseits von der Geburt an für die Bedürfnisse des Babys engagiert und Kontakt mit ihm aufnimmt.

Deshalb arbeitet der Schweizer Pränatal- und Babytherapeut Franz Renggli nur dann mit einem Baby, das z.B. schlecht schläft und viel schreit, wenn Mutter und Vater mitkommen. Denn das Unbehagen des Babys kann Ausdruck einer Störung in der Beziehung sowohl zur Mutter als auch zum Vater sein oder Ausdruck einer nicht aufgearbeiteten Verletzung und Traumatisierung bei einem der beiden Elternteile, die das Kind übernommen hat.

Allerdings gibt es auch auf der genetischen Ebene einen selten beachteten Unterschied: Die Energieerzeuger in den Zellen, die Mitochondrien, haben eine eigene DNA, unterschieden von jener, die nach der Befruchtung durch die Verbindung der mütterlichen und väterlichen Chromosomen entsteht. Diese mitochondriale DNA bildet sich aus dem Zytoplasma der Eizelle, stammt also nur von der Mutter und aus der mütterlichen Generationenlinie.

Biologie ist sozial und das Soziale ist biologisch


Beim Menschen ist die Biologie immer auch emotional, sozial und kognitiv. Wir sind nicht in der Lage, zu verhindern, dass sich diese Bereiche gegenseitig beeinflussen. Wir können nur mit Hilfe unserer abstrakten Denkfunktion Unterscheidungen einführen, die uns das Verständnis erleichtern und uns ermöglichen, die Komplexität der Vernetzungen in Sprache zu übersetzen. Aber in der Wirklichkeit unseres Leben und Erlebens haben alle diese Ebenen eine eminente Bedeutung, und die Biologie im Grund die wichtigste, weil sie unmittelbar unser Überleben sicherstellt und deshalb alle anderen Ebenen beeinträchtigt sind, wenn die Physiologie durcheinander ist, während die umgekehrte (top-down) Richtung viel schwächer ausgebildet ist.

Die biologischen Grundvorgänge spielen immer eine Rolle und hinterlassen Spuren auf allen Ebenen. Sie wirken auf unsere Emotionalität und unser Verhalten ein. Deshalb sollten sie beachtet werden, wenn es um neue Entwicklungen in der Gesellschaft geht: wenn ein Kind von zwei Frauen oder zwei Männern großgezogen wird, wenn ein Kind durch Adoption bei Adoptiveltern aufwächst usw. Die Biologie wirkt in alle Bereiche des Erlebens hinein und lässt sich weder durch moderne medizinische Reproduktionstechniken noch durch sozio-kulturelle Änderungen wie der Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften überlisten. Wie wir die Techniken nutzen, die wir zur Verfügung haben und unsere Gesellschaft einrichten, sollten wir freilich nicht von den biologischen Grundlagen abhängig machen, denn das wäre wiederum eine einseitige ideologische Verkürzung im Sinn des Biologismus: Die (immer auch sozial interpretierte) Biologie sollte die Grundprinzipien der Gesellschaftsordnung liefern.

Wir sollten aber andererseits diese modernen Entwicklungen nicht dazu verwenden, um die Lebensgrundlagen und ihren Informationsgehalt sowie ihre systemischen Bedürfnisse völlig auszublenden oder zu ignorieren. Es ist wichtig, alles im Blick zu behalten: Das, was das Leben will und braucht, das, was die Individuen wollen und brauchen, das, was die Gesellschaft will und braucht. Aus einer integralen Sicht entstehen die besten Wege zu den richtigen Entscheidungen in all den individuellen Fällen und Problemlagen, die mit dem Thema verbunden sind und für die Themen, die durch die Fortschritte in den Reproduktionstechniken und in der gesellschaftlichen Liberalisierung noch auf uns zukommen werden.

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