Mittwoch, 16. Dezember 2015

Bad news are good news?

Only bad news are good news – diese scheinbare Medienweisheit beruht auf dem Mechanismus, dass wir aus der Überfülle an dargebotenen Reizen und Informationen vor allem jene aussieben, die uns auf mögliche Gefahren und Risiken aufmerksam machen. Harmlose Viren werden zu medialen Pandemien, und schon fürchten sich alle, und einige Medikamentenerzeuger können ihre Umsätze kräftig steigern. Unwetter werden zu Katastrophen, und vom Terror sind wir überall bedroht, ob wir auf die Straße gehen oder nicht. Denn Zeitungen brauchen auch Reizthemen für ihren Absatz. Zudem wissen besserwissende Bücherschreiber, dass das ganze Abendland oder bloß die europäische Wirtschaft bedroht sind, weil zu viele oder zu wenige Menschen ein- und zuwandern, oder die falschen. Sie wissen auch schon, wann die nächste Finanzkrise kommt und wie dann alles zusammenbricht, oder dass die hackeranfälligen Computersysteme bei ihren Abstürzen die vom Internet abhängigen Infrastruktursysteme mitreißen. Sie wollen ja auch was verdienen mit ihren Bestsellern. 

Deshalb meinte Mark Twain: Man vergisst vielleicht, wo man die Friedenspfeife vergraben hat. Aber man vergisst niemals, wo das Beil liegt.

Wir kennen diese Zusammenhänge. Wir wissen, dass schreckliche Bilder, die wir über die Medien konsumieren, zurechtgeschminkt und abschreckende Texte aufgeplustert sein können. Wir wissen, dass Redakteure und Journalisten zu Übertreibungen neigen. Aber wir können uns schwer dem emotionalen Sog der negativen Medienfluten entziehen. Die schlechten Nachrichten füttern unser Angstgedächtnis. Was also gut ist für die Nachrichtenproduzenten, ist schlecht für die Konsumenten. Scheinbar sind sie informiert und pflichtschuldigst aufmerksam gemacht auf all Gefahren, die um sie herum lauern. In Wirklichkeit werden sie ängstlicher, und wer viel Angst hat, wird eng in seiner Persönlichkeit und schneller krank.

Wollen wir uns abschotten von der medialen Angstmache und unsere innere Ruhe bewahren, müssen wir dauernd um-kontextualisieren, also alternative Kontexte zu den aufgedrängten bilden. Dazu brauchen wir einerseits alternative Informationen, wie jene z.B. aus dem Buch von Steven Pinker („Gewalt: Eine neue Geschichte der Menschheit“) und andererseits den Blick auf die Potenziale der Menschen und der Menschheit. Pinker hat in seinem lesenswerten (sehr umfangreichen) Buch akribisch nachgewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit, einer Gewalttat zum Opfer zu fallen, im Lauf der Geschichte ganz drastisch zurückgeht. Wohlgemerkt: Es sinken nicht nur die absoluten Zahlen der Gewalttaten, sondern relativ zur Anzahl der jeweils lebenden Menschen geht diese Wahrscheinlichkeit drastisch zurück. Selbst statistische „Ausreißer“ wie die Weltkriege im vergangenen Jahrhundert ändern nichts am Trend.

Die Menschheit wird also friedlicher, allem Anschein zum Trotz. Daran erkennen wir, dass der Anschein medial erzeugt wird – oder selektiv durch die eigene Wahrnehmung. Wenn ich nämlich selber Opfer einer Gewalttat wurde, habe ich, was mein Leid anbetrifft, wenig davon, dass etwas ganz und gar Unwahrscheinliches gerade mir passiert ist. Wenn ich allerdings aus meiner Erfahrung Schlüsse ziehe, nehme ich an, dass die Welt insgesamt unsicherer geworden ist, obwohl das nicht stimmt.

Wir müssen also aufpassen: Mediale Informationen und persönliche Erfahrungen verführen uns leicht zu unzulässigen Verallgemeinerungen. Wenn wir solche Fehlschlüsse ernst nehmen, tun wir uns selber nichts Gutes, weil wir eben unsere Ängste verstärken.

Der andere wichtige Aspekt liegt darin, dass wir uns immer wieder daran erinnern, dass Menschsein bedeutet, kreativ zu sein. Menschen haben die erstaunlichsten Dinge hervorgebracht und die unglaublichsten Herausforderungen bewältigt. Sie haben z.B. das Problem gelöst, die meisten Menschen auf dieser Erde mit Strom zu versorgen und damit ihr Leben zu erleichtern. Sie haben die Zerstörungen, die Kriege angerichtet haben, immer wieder aufgeräumt und Neues auf den Trümmern erschaffen.

Sicher werden auch in Zukunft Probleme entstehen, von denen wir jetzt noch gar nichts ahnen können. Dazu kommen diejenigen, die wir voraussehen können, wie die globale Erwärmung und das Zur-Neige-Gehen fossiler Brennstoffe. Wir können genauso wenig erahnen, welches Problemlösungspotenzial sich entfalten wird. Wir wissen aber aus der Geschichte, über welch große Flexibilität die Menschheit verfügt. Und das übersehen wir leicht, wenn wir auf die Katastrophen und Fehlentwicklungen fokussiert sind. Denn die Flexibilität in der Problemlösung ist eine der in der Kreativität verwurzelten  Stärken der Menschheit. Sie ist nicht aufmerksamkeitserzeugend. Was also Menschen leisten, ist weniger interessant als das, was sie sich leisten, wenn sie Grauslichkeiten begehen oder aus Beschränktheit oder Unwissenheit Schäden hervorrufen.

Es geht nicht darum, Fehlentwicklungen oder Untaten zu beschönigen.  Es geht nicht darum, gutzureden, was schlecht ist, schönzufärben, was hässlich ist. Es geht darum, dass das, was schön ist oder wieder schön werden kann, nicht mit dem Hässlichen zugeschüttet wird. Wir können damit anfangen, Menschen mehrdimensional zu sehen: das, was uns an ihnen gefällt und das, was uns an ihnen nicht gefällt, das, was wir gut finden und das, was wir schlecht finden. Und dazu immer mitzusehen, dass sie alle, wie wir selber, ein unschätzbares Potenzial an Lernfähigkeit und Kreativität in sich tragen. Dann kann jeder Mensch, dem wir begegnen, eine gute Neuigkeit für uns sein. Und gute Neuigkeiten helfen uns zu entspannen und uns des Lebens zu erfreuen. Thus, good news are good news. 


Vgl. Ereignisse, Medien, Machtlosigkeit
Für ein Verbot der Angstmacherei

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