Mittwoch, 30. September 2015

Geld und Schmerz

Quelle: Darvins Illustrierte
Ein interessanter Aspekt der Psychologie des Geldes ist der Zusammenhang zwischen Geldausgeben und und Schmerzempfinden. Geld für eine Dienstleistung oder ein Produkt zu bezahlen, hat mit Loslassen zu tun. Scheine oder Münzen, die sich in meinem Geldbörsel befunden haben, muss ich hergeben. Dieser Prozess des Loslassens ist subtil und gewohnheitsmäßig eingeübt, wenn es um kleine Beträge oder regelmäßige Zahlungen geht, z.B. wenn wir Lebensmittel einkaufen oder ein Busticket lösen. Solange alles im Rahmen unserer Erwartungen ist, erleben wir keinen Problemdruck.

Sobald aber etwas unerwartet teuer ist (wir sind z.B. schon lange nicht mehr mit der Bahn gefahren und sind erschreckt über den Preis eines Fahrscheins), sobald eine Rechnung überraschend eintrudelt (z.B. wir haben nicht mit der saftigen Steuernachzahlung gerechnet) und sobald Ebbe am Konto herrscht, regt sich unser innerer Widerstand und wir geraten in Stress. Wir beginnen, mit dem Schicksal, den Preisen oder den Behörden zu hadern, bis wir schließlich einsehen, dass wir zahlen müssen, um zu kriegen, was wir wollen oder um sonstige Nachteile zu vermeiden. In solchen Situationen erleben wir den Schmerz, der mit dem Loslassen verbunden ist.

„Freiwilliges“ Loslassen ist einfach. Anstelle dessen, was wir an Geld hergeben, erwerben wir etwas, das uns Freude bereitet. Ein Loslassen, dem wir nicht voll zustimmen können, weil es für uns nicht klar ist, ob der Gewinn den Verlust überwiegt (z.B. wir haben eine Sache gekauft und fühlen uns übervorteilt) oder weil es unvermutet und überraschend kommt (z.B. wir verlieren unsere Brieftasche oder werden bestohlen), ist schwieriger, weil es mit Leiden verknüpft ist, das im Inneren zu nagen beginnt: Es fühlt sich an, als hätten wir einen Teil dieses unseres Inneren eingebüßt.

Wir erkennen an solchen Vorgängen unsere beharrlichen Anhaftungen an die Dinge. Geld ist an sich wertlos, steht aber in seiner abstrakten universellen Werthaftigkeit (ich kann mir mit genügend Geld alles kaufen, was es gibt) an oberster Stelle unserer Begierden. Deshalb kann ein Verlust der an sich wertlosen Scheine oder Münzen innere Krisen auslösen.

Um diesen Krisen zu entgehen, horten manche Menschen ihr Geld, und andere geben es so schnell wie möglich gleich wieder aus, sobald sie es in der Hand haben. Andere wiederum denken fortwährend an ihren Kontostand und machen sich laufend Sorgen, was in Zukunft schlechter werden und sie ärmer machen könnte.

Schmerzen machen uns immer auf unsere Endlichkeit aufmerksam. Wir merken, dass wir verwundbar sind, und verwundbare Wesen können nicht ewig leben. Deshalb bietet unser materialistisches System, das System der Todesverdrängung, den einen Versicherungen gegen jegliche Schmerzen und den anderen Vergnügungen und Konsumfreuden ebenso gegen jede Verletzlichkeit an. Wir können uns rundum abpolstern mit den Glücksversprechungen der Welt der Dinge, die ihr volles Repertoire an Verführungskünsten einzusetzen, um das Paradoxe zuwege zu bringen: Uns das Geld aus der Tasche zu ziehen, ohne dass es weh tut.

Ein Trick bei solchen Täuschungsmanövern besteht darin, den Konsumenten das Gefühl zu geben, dass sie mit dem Erwerb eines Gutes nicht nur dieses, sondern den zusätzlichen Nutzen erworben haben, das Gut billiger, günstiger zu bekommen als es „eigentlich“ wert ist. Wenn wir das Gefühl haben, bei einem Einkauf zu „sparen“, also weniger auszugeben als erwartet, wird der Schmerz des Loslassens durch die Freude am vermeintlich doppelten Gewinn ausgeglichen. Deshalb sind manche Menschen geradezu süchtig danach, Rabatte und Preisnachlässe aufzuspüren und danach ihre Einkäufe zu planen, wobei sie oft viel mehr erwerben, als sie wirklich brauchen und damit schließlich mehr Geld ausgeben als gewollt.

Ähnlich einer Stechmücke, die zuerst ein Betäubungsmittel über den Stachel in die Haut injiziert, um sich dann ungestört sättigen zu können, wird auch bei den Einkaufsvorgängen zunächst der Schmerz durch die positiven Gefühle des Inbesitznehmens unterdrückt, und erst nachher spüren wir den Verlustschmerz, vor allem, wenn das Ding, das wir erworben haben, oder sein Preis nicht unseren Vorstellungen oder Erwartungen entspricht.

Alles, was wir mit Geld erwerben, ist wie das Geld dinglich. Wir tauschen Dingliches gegen Dingliches. Das erworbene Ding ist unlebendig, und es bringt uns mit der Realität des Todes in Kontakt, ohne dass wir es merken. Was wir merken, ist der Schmerz des Hergebens, des Verlustes. Darin macht sich unsere Vergänglichkeit bemerkbar, doch so, dass wir in der Üppigkeit der Warenwelt die Hoffnung nie verlieren können, dass Vergängliches durch Vergängliches ersetzt werden kann, wie das kaputte Handy durch ein neues, noch besseres und schöneres, und so weiter bis in alle Ewigkeit. Die Illusion der Unendlichkeit der Warenwelt und Güterproduktion und damit der Unsterblichkeit der Konsumenten ist vielleicht die mächtigste Triebfeder der kapitalistischen Produktion und des materialistischen Konsums.

Geld repräsentiert eine universelle Möglichkeit in der Güterwelt, und sobald es ausgegeben ist, sind Möglichkeiten in der Menge des Ausgegebenen vernichtet. Die Wirklichkeit des Gutes entschädigt uns dafür nicht. Doch probieren wir es immer wieder, wie der Glückspieler am einarmigen Banditen. Mit jedem neuen Versuch wollen wir unsere Endlichkeit überwinden und uns unsterblich machen. Alles, was den Schmerz betäubt, ist deshalb willkommen.

Machen wir uns hingegen bewusst, dass das Loslassen ein wichtiger Teil des Lebensprozesses ist und dass wir uns damit in der Dynamik des Austausches im unendlichen Netz des Gebens und Nehmens bewegen, kann es uns leichter fallen, Geld und Güter zu empfangen und wieder herzugeben und dabei mit einem genauen Spüren unserer Bedürfnisse in Verbindung zu bleiben: Was brauchen wir wirklich, was ist uns wichtig – im Geben wie im Nehmen?



Vgl.: Das Ende des Geldes? 
Die Doppelbotschaft der Ausbeutungsgesellschaft

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