Samstag, 1. August 2015

Die einfache Lehre statt Meinung als Wissen

Manche spirituelle Lehrer liefern mit ihren Einsichten in das Wesen des Menschseins
Quelle: http://www.hybridwing.com/illustration/guru-mascot/
gleich Erklärungen über die Kosmologie und die Ethik mit: Wie alles entstanden ist, wie das Bewusstsein das Sein hervorgebracht hat, was mit den Seelen vor und nach einem individuellen Leben passiert, wie das Gute und das Böse im Universum ausgeglichen wird, ob alles bestimmt und von vornherein festgelegt ist usw.

Solche Fragen interessieren viele Menschen, und sie erwarten von Lehrern, die von sich behaupten, in die Tiefe des Unerklärbaren vorgestoßen zu sein, dass sie auch zu diesen Fragen kompetente Antworten bieten können. Viele Lehrer sind auch der Meinung, dass sie über eine kompetente Ansicht zu diesen Fragen verfügen. Die Innenerfahrung, die sie zu einer radikalen Selbsterkenntnis geführt hat, kann zu der Überzeugung verleiten, jetzt über letztgültige Antworten auf kosmologische oder ethische Fragen zu verfügen, die sie selber schon lange beschäftigt haben. Jetzt, wo ihnen das Wesen der Dinge offenbar geworden ist und die Welt des Scheins und der Illusionen durchstoßen wurde, wird auch klar, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Zu vielen dieser Einsichten gibt es konkurrierende und widersprechende Erkenntnisse. Menschen finden aufgrund ihres Bildungsweges unterschiedliche Antworten zu solchen Themen. Deshalb unterscheiden sich auch spirituelle Lehrer hier voneinander: Die einen halten z.B. die Lehre von Präexistenzen und von der Seelenwanderung für ein zentrales Lehrstück, während andere nichts davon halten. Die einen nehmen an, dass alles aus Bewusstsein entstanden ist, die anderen kennen nicht einmal einen Unterschied zwischen Sein und Bewusstsein. Die einen sehen das Böse als Illusion und Schein, die anderen als Reinigungsaufgabe auf dem Seelenweg.

Es gibt keinen Konsens und es gibt keine übergeordnete Instanz, die hier über richtig und falsch entscheiden könnte. Es gilt nicht einmal die korrektive Funktion der Forschergemeinschaft, die in den Wissenschaften dafür sorgt, dass Wissen durch Nachprüfung und kritischen Diskurs abgesichert werden kann. Jeder kann auf diesem Feld also behaupten, was er/sie will.

Alles, was widersprüchlich ist, weil es dazu konkurrierende gleichwertige Ansichten gibt, gehört nicht in die spirituelle Lehre, sondern ist im besten Fall Gegenstand eines philosophischen Diskussion, im weniger guten Fall Resultat esoterischer Spekulation. Wie man spiritueller Lehrer nicht einfach dadurch wird, dass man sich als solcher bezeichnet, sondern durch einen tiefgreifenden Erfahrungs- und Lernprozess, ist man auch nicht Philosoph dadurch, dass man Meinungen über kosmologische Fragen formulieren kann. Auch die Philosophie muss gelernt und geübt werden. Sonst fällt es schwer, Argumente, die begrifflich formuliert werden und einem kritischen Diskurs standhalten können, von zusammenfantasierten, gechannelten, schlampig zusammengeflickten und schlecht recherchierten Meinungen zu unterscheiden.

Die griechischen Philosophen haben nicht umsonst den Unterschied zwischen Meinung und Wissen eingeführt, um auf diesen Sachverhalt aufmerksam zu machen. Meinung ist subjektives Für-Wahrhalten, Wissen ist intersubjektiv und objektiv zustandegekommene Erkenntnis, die grundsätzlich nie fertig und abgeschlossen sein kann, sondern in einem Prozess des Werdens und der Weiterentwicklung steht, in beständiger Rückkoppelung zu einer Expertengemeinschaft und zum gesellschaftlichen Entwicklungsprozess. Subjektive Meinung hat keine über das Subjekt hinausgehende Verbindlichkeit und Verantwortung.

So bin ich bei manchen spirituellen Lehrern und Lehren versucht zu sagen: Schuster, bleib bei deinem Leisten. Wenn du einen anderen Leisten verwendest, erkläre dazu, dass es nicht deiner ist und du ihn deshalb nur unzureichend handhaben kannst. Lehre Spiritualität, wenn du spiritueller Lehrer bist; sprichst du über Themen, die ihren Ort in der Physik oder Philosophie haben, bring dazu dein ganzes erworbenes Wissen und die dazu gehörenden Kenntnisse ein, ohne zu diesen Themen deine spirituelle Autorität zu bemühen. Jeder kann zu allem und jedem Meinungen haben, schließlich gilt die Meinungsfreiheit als Grundrecht. Jedoch handelt es sich um Etikettenschwindel, mit der Autorität des Mystikers in Bereichen, die nicht zur Mystik gehören, Wahrheitsansprüche zu behaupten.

Der Leisten der spirituellen Lehre ist einfach und universell. Er lässt sich widerspruchsfrei formulieren und ist auf den suchenden Menschen abgestimmt: Was braucht es, damit die Freiheit vom Leiden erlangt werden kann? Was braucht es, damit Liebe und Mitmenschlichkeit zum vordringlichen Motiv wird? Was braucht es, um zum inneren Frieden zu gelangen?

Zur Beantwortung dieser Fragen braucht es keine Erkenntnisse über den Anfang der Welt, nicht einmal über den Anfang des Leidens oder des Bösen. Es braucht keine Einsichten in die Kosmologie oder Erkenntnistheorie.

Es genügt, den Menschen, die den Weg zur Befreiung suchen, diesen zu weisen. Dazu gehört es auch, ihnen klarzumachen, dass sie keine Antworten auf die Fragen nach Anfang und Ende, nach Sinn und Unsinn, nach Zufall und Bestimmtheit benötigen, um frei zu werden.

Die spirituelle Lehre hat ja gar nicht den Sinn, allgemeine Fragen zu beantworten. Sie dient dazu, Menschen bei ihrer Suche zu unterstützen. Sie ist deshalb, obwohl sie in ihrem Inhalt universell ist, auf die Individualität des Suchers abgestimmt. Jeder Sucher kann die Wahrheit nur in seiner eigenen Sprache verstehen, da jeder seinen eigenen Käfig mitbringt, zu dem es einen eigenen Schlüssel gibt. Wenn kosmologische Rätsel oder ethische Konflikte Teil des individuellen Käfigs sind, genügt ein Hinweis darauf, dass es auch zu diesen Fragen weiterführende Einsichten gibt, dass diese aber nicht für die mystische oder spirituelle Suche von Bedeutung sind.

Die mystische Lehre hat gar keine allgemeine Form. Sie erfüllt ihre Aufgabe, wenn die Botschaft beim Suchenden ankommt. Darum muss sie für jede Situation und für jeden Menschen neu formuliert werden. Die absolute Wahrheit verfügt über keine Versprachlichung, die überall angewendet und verstanden werden könnte. Sie muss sich ihre Versprachlichung stets aufs Neue suchen.

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