Donnerstag, 13. März 2014

Rhythmen des Lebens

Rhythmik dürfte der Anfang der Musik sein. Viele archaische Rituale sind mit rhythmischem Trommeln verbunden, das zur Herstellung von tranceartigen Zuständen und zur Bewusstseinserweiterung eingesetzt wird. Die gleichmäßig immer wiederkehrende Abfolge von Schlägen hat einen starken Aufforderungscharakter an unser Bewegungsbedürfnis.

Der bewusstseinsverändernde Einfluss der Rhythmen, vor allem wenn sie durch Trommeln entstehen, die tief in unseren Organismus hinein wirken, zieht vor allem Menschen an, die unter Stress leiden. Der Rhythmus spiegelt einen Aspekt des Getriebenseins wieder, der eine Quelle von Stress ist. Zugleich beruhigt die Gleichförmigkeit und erzeugt ein Zurückfahren der äußeren Sinne. Dadurch entsteht ein Bewusstseinszustand, der dem Alltag entrückt.

Die beruhigend wirkende Monotonie findet bei rhythmusbetonter Musik den Kontrast im Taktschlag, der aufweckt und zur unwillkürlichen Bewegung anregt. So konnte der beat (besondere Akzente auf den unbetonten Taktteilen) eine ganze Generation aufwecken und in Bewegung bringen.

Rhythmus wirkt ansteckend und zwischen den Menschen verbindend zwischen den Menschen. Neulich hatte ich dazu eine Beobachtung. Im Zug sitzend, hatte ich Lust, mit den Händen auf meine Oberschenkel zu trommeln, in einem synkopierten Rhythmus, aber sehr leise, um niemanden zu stören. Ein paar Sitzreihen weiter sah ich einen Fuß zu dem Rhythmus wippen, ohne die zugehörige Person sehen zu können. Die Schwingung hat sich übertragen, ohne dass es der Person bewusst gewesen sein muss. Wir können also schwer stillhalten, wenn uns ein Rhythmus packt.

Analoge und digitale Rhythmen


Jede Musik bis in jüngste Zeit war analog, nicht digital. Wir können leicht irritiert reagieren und fühlen uns verfremdet, wenn ein Rhythmus maschinell klingt, also mit absoluter Exaktheit auf uns einhämmert. Vielleicht suchen wir manchmal diese Verfremdung, wenn wir in die Disco gehen, wobei mir auffällt, dass solche exakten und harten Rhythmen die Menschen vereinzeln, sodass sich jeder in seiner eigenen Weise und ohne Bezug zu den anderen bewegt. Möglicherweise geraten die Tänzer dabei in einen dissoziativen Zustand, in dem sie den Kontakt sowohl zu sich als auch zu den anderen verlieren.
Live-Trommler haben dagegen eine verbindende Wirkung auf Gruppen, und es kann beobachtet werden, wie die tanzenden Menschen ihre Bewegungen zum Teil unbewusst aufeinander abstimmen. Darin spiegelt sich unsere Vertrautheit mit der analogen Rhythmik von Ritualkulturen, wie sie in allen Stammesgesellschaften bestanden haben, die ihre tiefsten Wurzeln in uns hinterlassen haben.

Jeder menschliche Trommler macht winzige Abweichungen von der exakten Zählzeit, die seinem Trommeln eine individuelle Lebendigkeit verleihen. Joachim Ernst Behrend hat einmal über den swingenden Jazz-Schlagzeuger geschrieben, dass dieser so spielen müsse, dass der Eindruck entstehe, als ob das Stück immer schneller würde, wiewohl das Tempo in Wirklichkeit genau am Metrum bleibt. Der Musikphilosoph Theodor W. Adorno wiederum war ein Gegner der Jazz-Musik, weil er der Meinung war, dass diese nur den (digitalen) Rhythmus der Maschinen in den Fabriken wiedergebe und damit die kapitalistische Entfremdung propagiere.

Wenn Menschen Musik mit Hilfe eines Instruments oder der eigenen Stimme erzeugen, entsteht immer analoge Musik, die in der Rhythmik durch eine feine Balance zwischen Exaktheit und Unexaktheit gekennzeichnet ist. Im Rahmen einer vordergründigen Zuverlässigkeit bleibt Raum für individuelle Abweichungen, was in gewisser Weise das archaische Zusammenspiel von Gruppe und Individuum widerspiegelt: Die Gruppe gibt den Grundrhythmus vor, in dem sich alles bewegt, und jede einzelne Person kann in diesem Rahmen ihre eigene Bewegungsform entwickeln.

Deshalb gibt es bei der digitalen Erzeugung von Rhythmen (Drum-Computer) eigene Vorrichtungen, den Rhythmus zu „grooven“, d.h. zufällige minimale Variationen einzubauen, als digitale Imitation von menschlicher Analogie, die den Eindruck erwecken, ein Mensch und nicht eine Maschine würden hier trommeln. Doch können Maschinen im Grund nur plumpe Annäherungen an die menschliche Ungenauigkeit erzeugen, die das lebendige Vorbild nie erreichen können.

Daran merken wir die Anhänglichkeit an natürliche Rhythmen, die uns als Menschheit seit Urzeiten und als Individuen von allem Anfang an vertraut waren. Wir fühlen uns wohl, wenn wir in eine uns gemäße Schwingung kommen und von vertrauten Schwingungen umgeben sind. Wir schwingen „auf der gleichen Frequenz“, und schon ist sie da, die Liebe. So ist führt uns das Rhythmische in die Verbundenheit mit allem Lebendigen und sogar noch mit dem ganzen Universum, falls selbst dieses in seinem eigenen Takt pulsiert.

 

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