Dienstag, 13. Dezember 2011

Vertrauen im Kapitalismus

Neben der Hilflosigkeit, die sich angesichts der Krise allerorten breit macht, zeigt sich nach der Welle an Bereicherungsphantasien und Allmachtsillusionen ein enormer Zuwachs an Misstrauen. Niemand weiß, wer als nächster kollabieren wird, niemand weiß, ob der Euro oder überhaupt das Geld oder gar das westliche Wirtschaftssystem weiter bestehen wird. Deshalb heißt es auf der Hut sein. Das, was einem noch geblieben ist, wird sicher verwahrt und keinem anvertraut, der es abschwatzen will. Was aber ist sicher? Welcher Bank kann man noch vertrauen? Zurück zum Sparstrumpf und zur Schatztruhe, die im Garten vergraben wird? Kann ich sicher sein, dass keiner zugeschaut hat?
Dass der einzelne Bürger jetzt so reagiert, ist ihm nicht zu verdenken und vielleicht sind das kluge Strategien, bis die Zeiten wieder besser werden. In den größeren Zusammenhängen der Wirtschaft, die auf einem Kreditsystem aufgebaut ist, wirkt das Misstrauen jedenfalls zerstörerisch. Das Wort Kredit kommt ja von Glauben: Glaube ich daran, dass der, dem ich Geld borge, es mir wieder zurückzahlt? Habe ich das Vertrauen zu ihm?
Die grundlegende Unsicherheit, die in jedem Geldgeschäft (und eigentlich in jeder Form der Tauschwirtschaft) steckt, liegt darin, dass wir das Verhalten unserer Mitmenschen nicht vorausberechnen können. Wir borgen einem Kumpel Geld, der uns hoch und heilig verspricht, es am nächsten Tag zurückzuzahlen, und wir schauen durch die Finger. Wären wir hellseherisch begabt gewesen, hätten wir ihm das Geld nicht gegeben. Aber er selbst war vielleicht voll überzeugt, dass er uns das Geld wieder zurückgeben würde, aber hat es sich dann anders überlegt, oder die Umstände haben sich so verändert, dass er z.B. Geld, das ihm geschuldet wurde, nicht zurückbekommen hat usw. Wir können ja nicht einmal unser eigenes Verhalten vorausberechnen, wenn wir jemanden etwas versprechen. Was kann da alles dazwischen kommen? Vielleicht verliebt sich die eigene Freundin in den Typen, dem wir Geld schulden, oder er beleidigt einen Verwandten von uns ... und schon ändert sich unsere Motivation, das geschuldete Geld zurück zu zahlen.
Wir können also nicht einmal uns selber vertrauen, wie dann anderen, wie dann einem komplexen Wirtschaftssystem, an dem Millionen von Akteuren beteiligt sind, deren Verhalten wir nicht annährend nach Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit bewerten können? Solange alles funktioniert, ersparen wir uns den Gedanken an die Risken, denen wir ausgesetzt sind. Wir bekommen für unsere Arbeit Papierscheine, die die Dame an der Kassa des Supermarkts für Waren, die wir mitnehmen, entgegennimmt. Die meisten, die einen Kredit aufnehmen, zahlen ihn auch zurück und finanzieren mit ihren Kreditzinsen diejenigen wenigen, die ihn nicht zurückzahlen. Wir ziehen unser Grundvertrauen auf das Wirtschaftssystem aus unseren Durchschnittserfahrungen. Der Bankomat spuckt das Geld aus, das wir vorher in die Bank hineingelegt haben.
Diese hohe Anforderung an das Vertrauen führt zur steigenden Prominenz und Autorität der Rating-Agenturen. Diese machen nichts anderes, als die Kreditwürdigkeit=Glaubwürdigkeit von Personen und Institutionen abzuschätzen. Sie bieten an, uns gegen unsere Unsicherheiten abzusichern. Auch sie können nur mit Wahrscheinlichkeiten rechnen, weil sie ebenso nicht hellsichtig sind und bestimmte Motivationen der Marktteilnehmer zwar vorausberechnen können, aber nie wissen, ob sich die Menschen und Institutionen den Berechnungen entsprechend verhalten werden.
In Zeiten steigender Unsicherheit und wachsendem Misstrauens gewinnen solche Organisationen einen schwerwiegenden Einfluss, der ihre reale Bedeutung weit übersteigt. Angesichts von Moody’s und Stanley & Poor’s Richtsprüchen werden die mächtigen Staatsmänner und –frauen plötzlich zu ängstlichen Kirchenmäuschen mit schlottrigen Knien.
Das Problem scheint mir darin zu liegen, dass die Gesetzmäßigkeiten, auf denen das kapitalistische Bewusstsein beruht, sich so weit vom „Menschlichen“ entfernt haben, dass es in ihnen für Kategorien wie Vertrauen keinen Platz gibt. Vertrauen entsteht, wenn ich einem Menschen gegenüber stehe, ihn spüre, er mich spürt, wir den Kontakt verdichten und erkennen, dass wir uns gegenseitig respektieren. Das Vertrauen wächst, wenn wir eine gemeinsame Geschichte aufbauen, in der wir uns immer wieder bestätigen, dass wir uns respektieren und das Gute aneinander suchen.
Vertrauen braucht Zeit und Raum, es ist keine schnelle Kategorie, sondern der Langsamkeit verpflichtet, der Eigenzeit. Es braucht den direkten menschlichen Kontakt und kann nur kurzfristig durch dazwischengeschaltete Medien am Leben bleiben. Es erfordert das Eingehen auf die andere Person, im Sehen, Hören, Fühlen.
In Zusammenhängen jedoch, in denen die oberste Maxime lautet: Sichere deinen eigenen Vorteil und Gewinn, notfalls auch auf Kosten der anderen, kann es kein Vertrauen geben. Menschliche Beziehungen werden dort benutzt und verdinglicht, und das Individuum kann nur überleben, wenn es sich umfassend gegen Missbrauch und Übervorteilung absichert. Die Absicherungen, die das System anbietet, z.B. Versicherungen gegen die Risiken von Investitionen, sind selber Teil des Misstrauensapparates, weil sie nur solange ihre Leistung erbringen, solange sie Gewinn machen. Wir müssen also auch einem Rückversicherer ein riskantes Vertrauen schenken, das sich auf nichts anderes begründen kann als auf der Annahme, dass uns diesmal nichts passieren wird. Sobald wir uns absichern, signalisieren wir ja unser Misstrauen und verstärken es noch zusätzlich.
Was hilft? Klar zu sehen, was ist. Der Verlust an Vertrauen in eine Wirtschaftsform, die menschliche Qualitäten in unmenschlicher Weise nutzt und verschleißt, ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis, die wir aus den gegenwärtigen Vorgängen ziehen können. Wir können nicht auf etwas vertrauen, das selber nur durch kalkuliertes Misstrauen funktioniert. Verzichten wir also auf die Illusion des Vertrauens und hören wir auf damit, soziale Gefühle im Kapitalismus zu suchen. Es gibt sie nicht, alles, was sich in diesen Gefilden als menschliches Gefühl ausgibt, ist ein fake. Menschliche Gefühle haben nur dort ihren Bestand, wohin dieses System nicht reicht, dort, wo sich Menschen in Freiheit ohne Absichten treffen.
Die Welt der Geschäfte, insbesondere die Welt der Finanzgeschäfte ist rational und von einem einzigen Gefühl, von Angst getrieben. Jeder Versuch, sich im Rahmen dieser Welt vor Ängsten zu schützen, produziert nur neue. Wir haben jedoch unser Denken und unsere Vernunft, und können sie nutzen, um möglichst unbeschadet über die Runden zu kommen und unsere Schäfchen ins Trockene bringen oder dort bewahren.
Was wir an Vertrauen für ein lebenswertes Leben brauchen, müssen wir uns anderswo besorgen und pflegen. Die kapitalistischen Schlachtfelder sind dafür nicht zuständig. Vielmehr stehen dafür unsere Beziehungsfelder zur Verfügung, Menschen, die wir kennen und kennen gelernt haben. Hier gilt es, die Zeit zu investieren, die notwendig ist, um Vertrauen zum Wachsen zu bringen. Es ist eine empfindliche Pflanze, die sehr sensibel auf Umweltgifte reagiert, insbesondere auf solche, die aus der Umgebung des Geldes, des Symbolträgers der verdinglichten Kommunikation kommen. Es sind auch schon Freundschaften an unklaren Geschäften zerbrochen und Ehen über Gelddingen gescheitert.
Wie gießen und düngen wir das Pflänzchen Vertrauen? Durch Verlässlichkeit, Offenheit, Redlichkeit und Klarheit, durch alle Eigenschaften, die uns dienen, unsere innere Integrität zu stärken. Auch durch offene Kommunikation, das Ansprechen und Klären von Störungen und das Vermeiden von Pauschalierungen und Abwertungen. Und dadurch, dass wir uns innerlich öffnen für das Vertrauen, das das Leben in uns gesetzt hat, indem es uns zur Existenz verholfen hat. Wir können uns auch der Erde, unserem Planeten anvertrauen, sie trägt uns unerschütterlich und majestätisch, gleich wie wir uns aufführen. Darüber hinaus sorgt, für alle, die dafür offen sind, das Ganze der Existenz für uns. Es ist die letzte Zufluchtsstätte für unser ängstliches und misstrauisches Herz.

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