Samstag, 10. Dezember 2011

Fragen und Antworten zum Buch "Vom Mut zu wachsen"

Ein Leser meines Buches "Vom Mut zu wachsen" stellt hier interessante Fragen zum Text. Meine Antworten  können auch anderen Lesern des Buches von Nutzen sein. Weitere Fragen oder Kommentare sind herzlich willkommen.

Frage:  Mir scheint, dass viele Menschen zumindest in unserem Kulturkreis zB in einer Stadt oder einem größeren Dorf leben, in dem keine Stammeskultur in  Deiner beschriebenen Form mehr feststellbar ist, aber viele Menschen (mich eingeschlossen) suchen andererseits wieder unterschiedliche Vereine, geschlossene Ausbildungen oder andere Zusammenschlüsse, die meiner Meinung  nach Deiner beschriebenen Form der tribalen Stufe sehr nahe kommen.

Antwort: Die Stammeskulturen sind ja schon fast verschwunden auf der Erde, dennoch  haben wir die Sehnsucht in uns, in solchen Gemeinschaften zu leben, deshalb  gibt es immer wieder Versuche, "sekundäre" Stämme zu bilden. Übrigens, die  Macht, die die Familie auf den Einzelnen ausübt - siehe die Themen, die in der Therapie auftauchen, haben fast immer mit der Familie zu tun – hat auch mit der Auflösung der Stämme zu tun. Deshalb ist das Familiengefüge für uns  von so existentieller Bedeutung, weil es der letzte Rest dieses Bewusstseins ist. Zugleich überfordert das die Familien.

Frage: Der Begriff der "sekundären Stämme" hat mir für das Verständnis gefehlt. Ist das Deine Wortschöpfung, oder beziehst Du Dich damit auf etwas bereits Vorhandenes?

Antwort: Ich weiß nicht, ob es diesen Begriff schon irgendwo gibt. Was ich meine, ist, dass wir uns in Gruppen, die eine herzliche und offene Atmosphäre kultivieren, wohl fühlen und geborgen. Sie haben keine gemeinsame genetische Wurzel und keinen einheitlichen sozialen Hintergrund. Aber das Zusammengehörigkeitsgefühl, das wir in solchen Gruppen erleben können, hat nach meiner Ansicht seine Wurzeln im Stammesbewusstsein, das uns tief geprägt hat.

Frage: Ist nicht das tribale Bewußtsein letztlich die verbindende Kraft zwischen uns Menschen? Was passiert, wenn diese Kraft fehlt, weil wir eben den holistischen Zustand erreichen. Ich glaube zwar nicht, dass wir dann zu Einzelgängern werden, aber diese wäre momentan meine Schlussfolgerung. Alles endet und löst sich auf im Selbstverständnis. Aber wenn es nicht mehr notwendig ist, warum soll ich es trotzdem tun?

Antwort: Im holistischen Zustand haben alle anderen Bewusstseinszustände ihren Platz. Das holistische ersetzt nicht alle anderen, sondern inkludiert sie in ihrer gereinigten Form. Wir befinden uns in diesem Zustand, wenn wir frei von alten Ängsten sind und die menschlich verbindenden Aspekte dieser Stufe leben können, ohne dass wir das Dämonische und manchmal rituell Grausame früherer Stammeskulturen übernehmen.
Auf der holistischen oder universalistischen Stufe können wir die gesamte Menschheit als „Stamm“ erleben, der wir uns intensiv verbunden fühlen.

Frage: Es fehlt dann der krankhafte innere Zwang und Drang, mich anderen Menschen anzuschließen, was natürlich eine unglaubliche Befreiung für jeden Menschen darstellen kann, der diesen Zustand erreicht.

Antwort: Genau,  natürlich fehlt die Abhängigkeit von anderen Menschen, wenn ich meine Bindungs- und Verlassenheitsängste abgelegt habe. Ich begegne dann Menschen mit offenem Herzen und innerer Freiheit und gehe nicht auf Manipulations- oder Machtspiele ein.

Frage: Bin ich dann frei davon, aus einer Notwendigkeit heraus zu handeln? Also wenn ich eine Notwendigkeit überhaupt noch als solche wahrnehmen kann.

Antwort: Im holistischen Zustand stellt jeder Moment eine Notwendigkeit oder eine Freiheit dar, je nachdem, wie man es sehen will. Das, was der Moment zu tun aufgibt, wird getan, und der Unterschied von Freiheit und Notwendigkeit stellt sich dann nicht mehr. Im Vergleich: Eine Pflanze wächst nicht aus Freiheit oder Notwendigkeit, sondern sie wächst einfach, wie es die Umstände erlauben.

Frage: Welchen Wert also habe ich dann für die Gesellschaft? Ich glaube fast, dass sich hinter dieser Frage die Angst verbirgt, überflüssig und nicht gebraucht zu werden. Das Ego schreit also auf und fürchtet sich, nicht weiter geliebt zu werden. Alte Verletzungen?

Antwort: Ich leiste einen großen Beitrag zur Gesellschaft, wenn ich nicht aus Ängsten oder aus unbefriedigten Bedürfnissen heraus im eigenen Interesse handle. Z.B. ist mein Handeln nicht von Stress getrieben. Dadurch helfe ich anderen Menschen, dass sie sich in meiner Gegenwart entspannen können und damit innerlich klarer und offener werden können. Ich kann jede Aufgabe, die getan werden muss, vom Putzen der Wohnung über jede Bürotätigkeit bis zu politischen Entscheidungen besser und kreativer erledigen, mit vollem inneren Engagement.
Schon auf der systemischen Stufe wird nach meiner Ansicht die Haltung des Dienens in einer neuen Bedeutung sichtbar. Alles, was wir tun, tun wir für ein Ganzes, nicht bloß für uns. Was uns selbst vor allem zu Gute kommt, ist, dass es dem Ganzen gut geht, wenn wir unseren dienenden Beitrag leisten. Wenn wir uns also frei gemacht haben von unseren angstgesteuerten Ego-Antrieben können wir viel sinnvollere und effektivere Handlungen setzen, die immer mehr im Blick haben als bloß den Eigennutz.

Frage: Meinst Du, dass die Familien die Macht aufgrund der nicht mehr vorhandenen Stammestrukturen übertragen bekommen haben, ohne dass sie jemals in Bezug auf diese Macht instruiert wurden? Das afrikanische Sprichwort, daß es ein Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen, hat für mich mehr Aktualität denn je, die aber kaum erfüllt werden kann. Durch den Stamm bzw. das Dorf, war die enge und angstbehaftete Bindung an die Familie nicht so notwendig.

Antwort: Genau das habe ich gemeint. Die moderne Kleinfamilie ist restlos überlastet mit der Aufgabe, Kinder großzuziehen, deshalb gibt es Kindergärten und Schulen.  Aber die wichtigen Zeiten sind die ersten Lebensjahre, und wir Menschen kommen so unfertig auf die Welt, dass wir eine Dauerbetreuung benötigen, und damit sind zwei Personen schnell überfordert.

Frage:
Ist es dann nicht so - und wie gesagt stehe ich erst am Anfang Deines  Buches - dass sich diese Stufen überschneiden, bzw. vielleicht zwar in dieser Reihenfolge absolviert werden können, aber schlußendlich doch wieder in einer Person friedlich nebeneinander koexistieren können?

Antwort: Meine Vision ist es schon, dass in einem holistischen Zustand alle Stufen zu ihrem Recht kommen. Wenn wir unsere Fixierungen an die dominanten Inhalte bestimmter Stufen, die z.B. mit Macht, Eigennutz, Ausbeutung usw. zu tun  haben, können wir das, was uns an der tribalen Stufe wichtig ist, in einer "modernen" Form in die Gesellschaft einbringen, z.B. indem wir Wohnformen erfinden, die den Bedürfnissen des Zusammenlebens gerecht werden und zugleich Raum für den Individualismus geben.

Frage: In meiner Vorstellung würde sich dieser Zustand am ehesten im für mich noch vage vorstellbaren holistischen Zustand auflösen, den ich mir momentan als erstrebenswerten Endzustand vorstelle. Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob diese Stufe für alle Menschen erstrebenswert ist bzw. ob  sie ab dem Erreichen dieser Stufe nicht mehr erstrebenswert ist. Das ist vermutlich sogar eine logische Konsequenz.

Antwort: Ich denke, dass die Menschen alle eigentlich nach einem holistischen  Zustand streben. Schließlich haben sie auch eine Ahnung davon, weil viele,  aber nicht alle Elemente dieses Bewusstseins schon auf der tribalen Stufe erlebbar sind. Außerdem finden sich diese Elemente in unserer individuellen Geschichte, z.B. im ozeanischen Gefühl im Mutterleib. Deshalb wissen wir tief drinnen, dass es auch geht, auch wenn der Alltag und die Mühen und Sorgen sich davor auftürmen und die Sicht verstellen. Aber warum strampeln wir uns so ab? Wo wollen wir eigentlich hin? Wenn wir schon alles haben, was es zu haben gibt, suchen wir ja dennoch weiter, und da geht es dann um die  spirituellen Erfahrungen, die unsere letzten Sehnsüchte erlösen.

Frage: Dann würde ich aber spirituelle Erfahrungen etwas provokativ mit anderem Suchtverhalten gleichsetzen. Viele Menschen sind auf der Suche nach Abwechslung und dem "nicht spüren müssen". Vordergründig wollen das spirituelle Menschen natürlich nicht, da es ja um die tiefere Wahrheit geht. Aber wie oft verbirgt sich hinter dieser Suche, so es eine ist, nach der tieferen Wahrheit eine elegante Möglichkeit, sich im Rahmen eines spirituellen Suchtverhaltens nicht selber spüren zu müssen. Meiner Meinung nach sollte dieser Aspekt beachtet werden. Wenn ich an mich selbst denke, dann möchte ich das in gewisser Weise nicht ausschließen. Gibt es doch noch so tolle Möglichkeiten, Kurse, Seminare, .... Aber wo bleibt das Leben, wenn ich von einem Seminar zum nächsten laufe, und dazwischen die Zeit zum Leben fehlt. So gesehen ist dann erst wieder die Auflösung in den unterschiedlichen letzten Stufen verschiedener Systeme die Möglichkeit, aus diesem Kreislauf auszusteigen.

Antwort: Jede Erfahrung kann eine Sucht auslösen, und nicht einmal nur die angenehmen. Alle Erregungszustände, die uns irgendwie bekannt vorkommen, weil sie mit bestimmten traumatischen Erfahrungen verknüpft sind, die wir unbewusst abgespeichert haben, wollen wir wieder erleben. Das kann ein Motiv sein, z.B. spirituellen Erfahrungen nachzulaufen, indem wir Seminare und Meditationsgruppen besuchen. Allerdings passiert dort in der Regel etwas anderes – wir befinden uns in einer Atmsophäre des Wachsens und der Transformation, und oftmals, ohne dass wir es gleich merken, lösen sich die Muster, die unser Suchtverhalten stimulieren, auf und machen einer inneren Freiheit Platz. Wir üben uns im Akzeptieren dessen, was da ist, und Spiritualität ist dann nicht mehr ein besonders toller Bewusstseinszustand, sondern die tiefere Erfahrung jeder Erfahrung.

Frage:
Also besteht vielleicht die Kunst der Wahrnehmung darin, sich schon während des eigenen Weges so weit und reflektiert zu beobachten, um herauszufinden, warum dieser Weg begangen werden möchte. Und um diesem Suchtverhalten so weit zu begegnen, dass es sich selbst auflöst. Fast erscheint es mir als Paradoxon. Und vielleicht verliere ich mich grad in einer anderen Diskussion.

Antwort: Alles löst sich auf, wenn wir es konfrontieren, wenn wir bereit sind, ihm ehrlich zu begegnen. Was uns antreibt, ohne dass wir es kontrollieren können, nimmt seine Kraft aus dem Verborgensein. Alles, was wir ans Licht bringen, verwandelt sich in Licht.

Frage:
 Was bedeutet dies aber im täglichen Leben? Nicht alle Menschen haben  die Zeit und Möglichkeit, sich mit sich selbst ausreichend zu beschäftigen. Da  setzt aber eine schon wieder sehr politische Debatte am Gesamtzustand unserer Gesellschaft an. Wäre es nicht ein notwendiges Menschenrecht, dass die Möglichkeiten im Sinne von weniger Arbeit geschaffen werden, die  trotzdem zum Überleben ausreichend ist, um Zeit für sich selbst zu haben.  Wie viele Menschen würden diese Zeit dann aber so zu verstehen wissen?

Antwort: Diese Fragen führen zum Verstehen der Kraft der Evolution. Das sind langsame, aber sicher mahlende Mühlen, sodass wir ihr Wirken kaum wahrnehmen können. Nur als Beispiel: Im 19. Jahrhundert war die Arbeitszeit für  Industriearbeiter bei 60 bis 80 Stunden. Das hat sich schrittweise verringert, und die Produktivität der Gesellschaft ist dabei gestiegen.
Freizeit ist ein Begriff des 20. Jahrhunderts, der vielleicht im 21. Schon eine ganz andere Bedeutung bekommen wird. Jedenfalls braucht es seine  Zeit, bis die Zeit, die die Menschen ja haben, auch im Sinn der Evolution genutzt werden kann. Zunächst werden die personalistischen Interessen befriedigt, die Menschen machen also in ihrer Freizeit das, was der Entfaltung ihrer Kreativität dient, auch wenn es zunächst nur Fernsehen oder Spielen ist. In diesem Raum mischt sich immer mehr die Innenerfahrung hinein, das lässt sich nicht mehr aufhalten. Wir haben es da auch, so denke ich, mit einer Ablöse der traditionellen Religionsformen zu tun, die an Einfluss verlieren, deren Sinnangebote immer mehr von "freien" Formen der Sinndeutung übernommen werden, z.B. die ganze Esoterikszene, die schon die Supermärkte und Bahnhofsbuchhandlungen erreicht hat.
Ich denke, da bewegt sich schon vieles, es ist aber nicht mehr als eine einzige Bewegung in eine bestimmte Richtung sichtbar, sondern als ein Geflecht von Strebungen, die sich untereinander verknüpfen, also systemisch funktionieren.

Frage: So habe ich das bis jetzt nicht gesehen. Mir fällt als sehr deutliches Beispiel das Land China ein, in dem auch jetzt noch viele Menschen unter äußerst unwürdigen Arbeitsbedingungen und mit sehr langen Arbeitszeiten arbeiten müssen. Nach 80 Stunden Arbeit wäre es für mich vermutlich auch nur noch wichtig, ein warmes Bett und Essen zu haben, mich vom Fernseher berieseln zu lassen und schnell einzuschlafen. In diesem Zusammenhang denke ich auch noch an die Maslowsche Bedürfnispyramide. Und da steht die Selbstverwirklichung ganz oben. Wie soll ich mich aber mit mir selbst beschäftigen, wenn ich nicht genug Schlaf habe oder mir um meine Unterkunft Sorgen machen muss?

Antwort: Natürlich sind schwere Lebensumstände eine starke Belastung. Doch kann es helfen, einen inneren Ort der Stille zu suchen, wenn es eine Pause gibt und wenn die Arbeit vorüber ist. In China hat in den 90er Jahren eine spirituelle Bewegung viele Anhänger gefunden (Falun Gong), die geholfen hat, zu innerer Entspannung zu führen, aber dann von der chinesischen Regierung brutal unterdrückt wurde.
Wenn ich mir Sorgen um mein Leben mache – die Wohnung, das Einkommen usw. kann es auch helfen, den Atem nach innen zu lenken und die eigene Kraft zu spüren, die Gedanken auf das Positive zu richten und auch um spirituelle Hilfe zu bitten.

Frage:  Andererseits haben alle Menschen letzten Endes die Verantwortung für sich selbst. Aber wer gibt schon jungen Menschen die Möglichkeit, mit dieser  Verantwortung zu experimentieren, um sie später vielleicht erfühlen zu können?

Antwort:
Die Bildung spielt da eine wichtige Rolle, die kommt im Buch leider fast gar nicht vor - (wäre Thema für ein eigenes Buch...). Alle, die im Bildungsbereich arbeiten, sind genauso der Bewusstseinsevolution unterworfen, d.h. sie bewegen sich immer mehr auf den obersten drei  Bewusstseinsstufen und geben das, was ihnen dort wichtig ist, an ihre Studenten weiter, selten über die Inhalte, mehr in der Form. In meiner Jugend wurden Schüler noch von Lehrern geschlagen, heute gibt es einen  viel respektvolleren Umgang miteinander.
Bildung heißt, lernen zu reflektieren, also aus Selbstverständlichkeiten herauszuwachsen und eigene Lebensentwürfe ausprobieren. Bildung vermittelt den Mut zum Wachsen. Sie ist mit Anstrengung verbunden, die der Entwicklung  des eigenen Selbst dient. In dem Sinn erkennen mehr und mehr junge Menschen die Möglichkeit und Notwendigkeit, sich selbst zu entfalten.
Auch müssen sie das tun, denn die Gesellschaft bietet den jungen Leuten keine Rutschbahnen in Berufe an, die sie dann bis zur Pension abdienen. Vielmehr muss jeder junge Mensch sein persönliches Profil schmieden, um in der Gesellschaft weiter zu kommen. Er muss also an sich arbeiten.

Frage:
In Deinem ersten Absatz lese ich heraus, dass Du diese Diskussion unter der Voraussetzung betrachtest, dass alle im Lehrberuf befindlichen Personen an sich selbst arbeiten und darüber reflektieren, was sie tun. Ich bin mir nicht sicher, sofern ich Dich so richtig verstanden habe, ob diese Voraussetzung praktisch gegeben ist.
Den zweiten Absatz lese ich so gerne!

Antwort:
Es gehört zu den inneren Verpflichtungen jedes Menschen, innerlich zu wachsen und weiterzulernen. In allen Bereichen, die mit Bildung und Lehren zu tun haben, ist das noch deutlicher. Jedes Arbeiten mit Menschen trägt eine besondere Verantwortung und beinhaltet besondere Herausforderungen, weil Menschen so radikal verschieden sind und jede Person eine andere Bezugsform braucht. Jeder Mensch schreibt seine eigene Bildungsgeschichte selber, und die Lehrperson muss sich genau darauf einstellen. Dabei muss sie sich auch verändern und Neues dazu lernen. Lehren ohne Eigenreflexion ist eigentlich gar nicht möglich. Dort, wo es explizit gemacht wird, d.h. wo sich jemand bewusst dieser Reflexion widmet, bringt sie umso mehr Gewinn.

Frage:
Und vor allem wird mir immer bewusster, wie wenige Menschen anscheinend  die Zeit und die Möglichkeit haben, sich um sich selbst zu kümmern. Dies wahrzunehmen, ist eine eigene Herausforderung, wobei meine Wahrnehmung   natürlich nur subjektiv ist und auch wieder für viele Menschen so  nicht stimmen muss.

Antwort: Ich denke, dass sich jeder Mensch um sich selbst kümmert, nur ist dieses Kümmern häufig kontraproduktiv, wenn es sich z.B. im Konsum verläuft.  Manchmal wirkt die Kraft der Evolution auf verschlungenen Pfaden: durch Krisen - Gesellschaftskrisen, Gesundheitskrisen... Da passiert dann häufig ein Bewusstseinsschub. Aber natürlich sind die Menschen, die der Innenschau und der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit eine wichtige Priorität im Leben geben, sehr wenige, dennoch um so viel mehr als früher und deren Zahl ist ständig im Wachsen. Wieder zum 19. Jahrhundert - da haben so viele Menschen kreativ zu schreiben begonnen, und noch viel mehr zu lesen - so viele Romane wurden verfasst und gelesen. Das war damals die Beschäftigung mit sich selbst, ganz wenige, die geschrieben  haben (intensivere Selbstbeschäftigung), und vielleicht hundert- oder tausendmal so viele, die gelesen haben (weniger intensive Selbstbeschäftigung).
Jetzt gehen viele den Weg der Therapie und Selbsterfahrung und Meditation und widmen sich damit einer noch intensiveren Selbstbeschäftigung. Viele, die in Therapie gehen, lassen sich dann ausbilden, um selber Menschen weiter helfen zu können. Das sind dann schon Multiplikationseffekte. Und natürlich haben diese Entwicklungen noch nicht die Frauen erreicht, die an der Supermarktkassa stehen oder die Reinigung am Bahnhof machen. Aber das ist "nur" eine Frage der Zeit.

Frage:
Ich denke,dass auch hier wieder in großem Maße die Bedürfnispyramide zum Tragen kommt.
Vermutlich ist auch der übermäßige Konsum nicht mehr als eine Ablenkung, ein Suchverhalten, für das es oftmals Energie von außen bedarf, um es zu erkennen und zu beenden.
In diesem Zusammenhang frage ich mich gerade, wie viele Menschen von selbst einen Weg der Beschäftigung mit sich selbst einschlagen. Für mich selbst war lange Zeit scheinbar alles in bester Ordnung. Ich sah in dem System, in dem ich so sehr eingebettet war, keine Notwendigkeit und keinen Sinn für Veränderung. Mir wäre dieser Gedanke nie gekommen, wenn nicht ein anderer Mensch sehr viel Zeit und Energie aufgewendet hätte, um mich dorthin zu führen. Eine Dankbarkeit dafür konnte ich aber erst nach langer Zeit empfinden.

Antwort: Jede „beste Ordnung“ hält eine Zeitlang, bis der Druck der Evolution zu wirken beginnt. Das können wir in unserem Inneren spüren, wenn uns etwas antreibt, aus den Gewohnheits- und Komfortzonen herauszutreten. Das kann auch von außen kommen, wenn unser Beziehungsnetz zu ächzen und zu krachen beginnt. Wir können uns lange dagegen wehren (insbesondere wir Männer, die wir gelernt haben, viel auszuhalten, ohne zu jammern). Aber unweigerlich kommt ein Punkt, an dem spürbar wird, wie sinnlos das andauernde Kämpfen und Krampfen ist und wie wichtig und lohnend es ist, uns für mehr Freiheit einzusetzen.
Und was für eine Freiheit, wenn sich die Dankbarkeit einstellt!

Frage: Ist es also Glück, so es das Glück gibt, dass sich einige Menschen mit sich selbst beschäftigen können, um so vielleicht die unterschiedlichen von Dir beschriebenen Stufen durchleben zu können?

Antwort: Natürlich "hat" der/die Glück, der/die sich auf den beschwerlichen Weg  der Selbsterforschung begibt, weil dort Schätze zu finden sind, die es auf  den ausgetretenen Pfaden der Konsumwelt nicht zu finden gibt. Aber dieses  Glück spricht sich herum, und erreicht mehr und mehr Menschen, die dann  erkennen, dass es das ist, was sie schon immer gesucht haben. Ich denke, dass die Gesellschaft durch ihre Entwicklung, die eine bestimmte Reife erlangt hat, schon so viele Räume eröffnet, dass immer mehr Leute da  hineingehen. (Es gibt z.B. keinerlei Kontrolle in unseren Gesellschaften, was die Aktivitäten in der Selbsterfahrung anbelangt, zum Unterschied von totalitären Staaten).

Frage: Welch großes Glück ... und welch großer Verdienst der Menschen, die vor uns gelebt haben! Und gerade jetzt leben wir auch wieder in einer Zeit, in der viele von den großen Erungenschaften sehr leichtfertig aufgegeben werden. Errungenschaften, für die viele Menschen hart gearbeitet haben. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, das auch zu würdigen und mit diesem Bewusstsein zu leben. Durch dieses besondere Glück offenbart sich vielleicht auch, wie viel Arbeit auch weiterhin notwendig sein wird, um auch weiter so leben zu können!

Antwort: Jedes Glück, das uns widerfährt, ist ein Geschenk, das wir uns nicht verdient haben. Es kommt aus einer großen Fülle, und wir nutzen es am besten, dass wir aus seiner Energie Kraft schöpfen, unseren Weg weiterzugehen und dass wir teilen, so viel wir vermögen.

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