Dienstag, 14. Juni 2011

Der Alkohol und seine Kultur 1

Als der Standard vor einigen Wochen meinen Blog-Beitrag „Neue Genusskultur“ als Leser-Kommentar veröffentlichte, war ich überrascht über viele negative bis aggressive Postings, die vor allem die im Artikel geäußerte Kritik an der Verherrlichung des Alkoholkonsums zum Inhalt hatten.

Woher die Aggression in den Postings? Es klingt, als sollte diese Bastion verteidigt werden gegen die Feinde, die den Menschen ihre letzten Vergnügungen rauben oder zumindest ein schlechtes Gewissen machen wollen. Jetzt ist das Rauchen schon in der Defensive durch mieselsüchtige Asketen und eine repressive Gesellschaft, und als nächstes soll den Leuten der Alkohol weggenommen werden. Wehret also den Anfängen!

Verstärkt hat sich bei mir dadurch der Eindruck, dass die Alkoholkultur in unserem Land nach wie vor ein Tabu-Thema ist. Wir sind entsetzt, wenn 12-Jährige als Koma-Trinker im Spital landen, wenn Betrunkene tödliche Verkehrsunfälle verursachen und Alkoholiker ihre Frauen schlagen. Aber wir weigern uns, dem Alkohol die Macht in unserer Gesellschaft zu nehmen, die er seit langer Zeit inne hat. Warum ist das so?

Stell dir eine Gruppe von Menschen vor, die sich zu einem Fest trifft. Es wird eine kurze Rede gehalten, und dann wird angestoßen, natürlich mit einem alkoholischen Getränk. Wer etwas Alkoholfreies oder gar nur Wasser im Glas hat, wird scheel angesehen – du gehörst nicht wirklich dazu. Deshalb bemühen sich alle, Prozentiges im Glas zu haben. Es wird so getan, als wäre es der Alkohol, der hier gefeiert wird, und nicht die Menschen in ihrem Zusammensein. Der Alkohol wird damit zum Zentrum des Festes erhoben, und wer ihm nicht huldigt, gehört nicht dazu, oder zumindest nicht ganz. Wer keinen Alkohol trinken will oder mag, wird nicht für voll genommen. Ihm/ihr haftet ein Makel an, der mit Missbilligung und häufig sogar mit Verachtung bestraft wird.
 
Alkohol ist ein Suchtmittel, das in unserer Gesellschaft – bis zu einem gewissen Grad des Konsums – hoch im Ansehen steht; allerdings, wenn dieser Grad überschritten wird, kommt es zur vollen Ausgrenzung. Der Säufer unter der Brücke gilt ebenso als Versager wie die Frau des Generaldirektors, die ohne Likör nicht mehr leben kann. Niemand will etwas mit solchen Menschen zu tun haben.

Wir sollen also bei den Alkoholritualen mitspielen und können dabei auch ab und zu mal über die Stränge schlagen und bekommen dafür Zustimmung und Anerkennung durch unsere Mitmenschen, aber wehe, wir überschreiten die unsichtbare Grenze und rutschen ab in die Sucht, dann werden wir gnadenlos ausgegrenzt. Es ist, als wollte uns dann jeder sagen: Ich hab es geschafft, ich kann meiner Sucht frönen, ohne ihr gänzlich zu verfallen, du hast versagt, die Flasche ist mächtiger als du.
 
Stell dir jetzt eine Betriebsfeier vor, auf der gutes Quellwasser ausgeschenkt wird und die Leute sich damit zuprosten. Niemand kommt auf die Idee, eine blöde Bemerkung dazu zu machen, sondern alle freuen sich, dass sie zusammen feiern können. Was sie trinken, ist dabei die Nebensache. Ist das eine Utopie?

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